Sicherheit auf unterstem Niveau

Bei der Rentenreform sucht die SPD einen Ausweg aus dem Zielkonflikt zwischen Beitragshöhe, Rentenniveau und Lebensarbeitszeit

AUS BERLIN ANDREAS SPANNBAUER

Die Rente soll nun doch wieder sicherer werden – zumindest auf unterem Niveau. Nach dem Wechsel an der Parteispitze will die SPD-Fraktion jetzt bei der Rentenreform noch einmal kräftig nachbessern und damit einen zentralen Punkt der Pläne von Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) kippen. Im Gegensatz zu dem Vorschlag, den die Ministerin vorgelegt hat, möchten die Abgeordneten ein Mindestniveau bei der Rente garantieren. „Die Mindestsicherungsklausel muss kommen“, verlangte der SPD-Abgeordnete Klaus Kirschner gestern nach einer Sitzung des Bundestagsausschusses für Gesundheit und soziale Sicherung. Sein Fraktionskollege Horst Schmidbauer sagte gegenüber der taz: „Wenn man das Vertrauen in das Rentensystem erhalten will, ist eine Niveausicherung unabdingbar.“ Auch die grüne Sozialexpertin Birgit Bender will eine entsprechende Klausel in den Gesetzentwurf hineinschreiben.

Doch selbst, wenn es so weit kommt, drohen den Rentnern von morgen noch immer üppige Abstriche – denn das Mindestniveau, das den Rentenversicherern vorschwebt, liegt weit unter dem heutigen. So soll das so genannte steuerbereinigte Nettorentenniveau – also die Rente abzüglich der Sozialabgaben vor Steuern – im Jahr 2030 bei 43 Prozent des vergleichbaren Durchschnittseinkommens liegen. Heute sind es noch 53 Prozent. Einen entsprechenden Vorschlag unterbreitete der Geschäftsführer des Verbands Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR), Franz Ruland, gestern dem Ausschuss.

Der Vorschlag der Sozialministerin sieht die Einführung eines Nachhaltigkeitsfaktors vor. Die Höhe der bezogenen Rente hängt demnach auch von der jeweiligen Wirtschafts- und Arbeitsmarktsituation sowie der Altersstruktur der Bevölkerung ab. Im Klartext bedeutet der Entwurf aus dem Hause Schmidt: Eine Untergrenze für die Rente würde es künftig nicht mehr geben. Das oberste Ziel des Reform ist es, die Beiträge der Arbeitnehmer zur Rentenversicherung bei 22 Prozent zu stabilisieren – nötig wird das, weil immer weniger Arbeitnehmer in die Rentenkasse einzahlen und immer mehr Rentner etwas herausbekommen wollen.

Doch mit dem Verzicht auf eine Untergrenze des Rentenniveaus hat die Sozialministerin Verbände und Gewerkschaften gegen sich aufgebracht – und handelte sich gestern bei der Anhörung vor dem Sozialausschuss harsche Kritik ein. „Eine Untergrenze des Rentenniveaus ist unabdingbar“, so die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer, die „weitere Abstriche nach unten“ an den Renten ablehnte. Nach Einschätzung des Gewerkschaftsbundes bedeutet der jetzige Entwurf für viele Rentner Bezüge auf Sozialhilfeniveau. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Storm hält „eine Untergrenze für das Rentenniveau“ ebenfalls für sinnvoll. Storm sagte der taz, durch den Gesetzentwurf entstehe ein „massiver Vertrauensschaden“ in der Bevölkerung. Zentrale Eckpunkte der Reform seien nach dem „nahezu einhellig vernichtenden Urteil“ der Sachverständigen nicht mehr haltbar. Rückendeckung erhalten die Kritiker dabei von Experten. Wenn ein Rentner nach 35 Jahren, in denen er in die Rentenkasse eingezahlt hat, nur noch eine Rente knapp über dem Sozialhilfeniveau erhält, dann, so formulierte es der Sozialexperte Wilfried Schmähl, wäre dies „eine nachhaltige Demontage des beitragspflichtigen Systems“. Der Regierungsentwurf erwecke den „Eindruck einer Rente nach Kassenlage“, sagte auch Eckart Bomsdorf, Professor für Wirtschaftsstatistik an der Universität Köln. Er warnte vor einer „nach unten offenen Rentenskala“.

Im Ministerium hat man den Wink mit der Zaunlatte offenbar verstanden. Auch der Berater der Sozialministerin, Bert Rürup, setzte sich gestern für eine Niveausicherung der Renten ein. „Ich plädiere dafür, ein Mindestsicherungsniveau einzuführen“, so Rürup vor dem Ausschuss. Zahlen wollte er aber nicht nennen. Das Sozialministerium äußerte sich nicht zu den Überlegungen. Im Finanzministerium erwägt man dagegen ein Mindestrentenniveau vor Steuern. Allerdings, so hieß es aus der Behörde von Finanzminister Hans Eichel (SPD), sei dies lediglich ein politisches Signal. Der Grund: Nach dem Alterseinkünftegesetz sollen die Renten ab 2005 besteuert werden (siehe Kasten). Wegen des komplexen Einkommensteuerrechts sage eine solche Größe wenig darüber aus, wie viel die Rentner am Ende wirklich in der Tasche hätten.

Doch nicht nur hinsichtlich des Mindestniveaus muss die Reform nachgebessert werden. Experten warnen davor, dass auch ein weiteres Ziej verfehlt werden könnte: die tatsächliche Anhebung der Lebensarbeitszeit. Zwar sieht der Entwurf vor, dass Arbeitnehmer, die arbeitslos sind oder einen Altersteilzeitjob haben, künftig erst mit 63 Jahren vorzeitig in Rente gehen können. Der VDR fürchtet jedoch, dass diese Regel wegen rechtlicher Probleme in Wirklichkeit nur für eine kleine Gruppe von Betroffenen gelten könnte – und das Gesetz damit wirkungslos bliebe. Eine allgemeine Erhöhung der Lebensarbeitszeit, wie sie auch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) fordert, ist ohnehin nicht vorgesehen – im Jahr 2008 soll lediglich überprüft werden, ob die Deutschen in Zukunft doch länger arbeiten müssen.

Gerade das gilt jedoch als unverzichtbar, wenn das Rentensystem trotz einer älter werdenden Gesellschaft stabil bleiben soll. Allein die steigende Lebenserwartung, so Rürup, rechtfertige auch eine längere Lebensarbeitszeit. „Gerade wenn man ein stabiles Rentenniveau will, führt kein Weg an einer Erhöhung der Altersgrenze vorbei.“ Die Arbeitgeber wollen allerdings den Beitragssatz langfristig unter 20 Prozent drücken – dies käme laut Rürup im Jahr 2030 einem Bruttorentenniveau von 35 Prozent gleich.