Inselpoker, unentschieden

Scheitern die Zypern-Gespräche in New York, bekommt die EU im Mai eine Grenze aus Stacheldraht. Doch am Willen der Beteiligten zu einer schnellen Lösung bestehen Zweifel

Papadopoulos und Denktasch sind nur in einem Punkt einig: Beide hätten gern mehr Zeit für Verhandlungen

Kaum begonnen, wurden die New Yorker Zyperngespräche am Dienstag auch schon wieder um 24 Stunden vertagt. Dieses Vorgehen entspricht zypriotischer Tradition: Schon seit 1968 verhandelt man mit Unterbrechungen über eine Lösung des Konflikts zwischen Inselgriechen und Inseltürken. Doch jetzt soll es plötzlich ganz schnell gehen.

Sechs Wochen Verhandlungszeit hat UN-Generalsekretär Kofi Annan den Parteien gegeben, um sich auf den Plan zu einigen, der seinen Namen trägt. Am 21. März sollen getrennte Volksabstimmungen die Gründung eines neuen Staats besiegeln. Die EU-Mitgliedschaft Zyperns vor Augen und die Beitrittsperspektive der Türkei im Nacken, scheint ein Kompromiss auf einen bizonalen Bundesstaat greifbar nahe. Die Betonung liegt allerdings auf „scheint“.

Eine Reihe von Faktoren macht eine Zypernlösung wahrscheinlich: der Wunsch der Türkei, endlich Beitrittsverhandlungen mit der EU aufnehmen zu können, und die Hoffnung der türkischen Zyprioten auf wirtschaftlichen Aufschwung in ihrem darbenden Inselteil. Griechenland möchte endlich die Beziehungen zur Türkei normalisieren, und die griechischen Zyprioten wünschen sich, dass Stacheldraht und Minenfelder von ihrer Insel verschwinden.

Die Vereinigten Staaten und die EU sind sich in der Zypernfrage ausnahmsweise einmal einig und haben in den vergangenen Wochen gewaltigen Druck auf alle Beteiligten ausgeübt. Die USA möchten nach dem Irakdesaster Ankara eine größere Rolle in der Region zuweisen, die EU befürchtet, den ewigen Streit mit der griechischen Republik Zypern einzugemeinden. Darüber hinaus bekäme es mit der „Green Line“ zwischen Nord- und Südzypern eine neue Außengrenze, die Menschenschmuggler geradezu einladen würde.

Doch das Inselpoker ist deswegen noch lange nicht entschieden. Nach mehr als 30 Jahren Kalten Kriegs um Zypern treibt Ankara und Nikosia die Frage um: Hat die jeweils andere Seite wirklich ausschließlich unlautere Motive? Tatsächlich geht es bei den Verhandlungen nicht nur um komplizierte Details, wie Entschädigungen für Flüchtlinge und Grenzkorrekturen. Sondern es geht darum, ob die Zyperngriechen und die Regierenden in Ankara überhaupt bereit zum Frieden sind.

Denn die Bereitschaft Ankaras zu Gesprächen muss nicht heißen, dass es den dortigen Beteiligten wirklich um eine Friedenslösung geht. Von zentraler Bedeutung ist zunächst, den schwarzen Peter des an der Teilung Schuldigen loszuwerden, der bisher an der Türkei festgedübelt ist.

Für Ankara wäre es vorteilhaft, wenn in diesen Verhandlungen die griechischen Zyprioten als die Blockierer erschienen. Denn in diesem Fall wäre es der EU unmöglich, Ankaras Beitrittsbegehren mit Verweis auf seine unhaltbare Zypernposition zu verweigern. Hinzu käme, dass die türkischen Militärs ihr liebstes Spielzeug Zypern behielten und damit der interne Konflikt zwischen Politik und Generalität auf befriedigende Weise gelöst wäre – nämlich ohne dass sich auf der Sonneninsel überhaupt etwas ändern würde.

Die Chancen für diese Art von Konfliktbewältigung stehen gar nicht schlecht. Denn mit Rauf Denktasch sitzt für die zyperntürkische Seite ein Führer bei den Verhandlungen, der noch jede Lösung torpediert hat und als Strohmann der alten Atatürk’schen Machtelite und der Militärs gilt.

Nichts fürchtet die griechische Seite mehr als diese Konstellation. Nicht die Vorfreude auf ein gemeinsames Land prägt die Diskussionen in Nikosia, sondern die Furcht davor, eine diplomatische Niederlage zu erleiden. Dass der zypriotische Präsident Tassos Papadopoulos wirklich an einer Lösung nach den Prinzipien des Annan-Plans interessiert ist, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Denn die UN-Lösung impliziert eben auch eine Teilung der Macht zwischen Inselgriechen und Inseltürken – und das ist für den Altnationalisten Papadopoulos offenbar nur schwer vorstellbar.

Zwar hat die griechische Seite immer wieder ihre Zustimmung zu den Prinzipien des Annan-Plans betont, und nach dem Scheitern der letzten Gesprächsrunde erklärte der UN-Generalsekretär, die Zyperngriechen wären zur Unterzeichnung des Vertrags bereit gewesen. Doch Papadopoulos behauptet inzwischen, im Zweifel hätte er natürlich nicht unterschrieben, nie hätte er die Kontrolle über den Staat abgegeben.

Vollständige Einigkeit zwischen Papadopoulos und Denktasch besteht derzeit nur in einem einzigen Punkt: Beide hätten gern viel mehr Zeit für die Verhandlungen. Tatsächlich kann sich der Zyperngrieche jede Zeit lassen: Die Mitgliedschaft in der EU ist der Republik Zypern so oder so garantiert. Denktasch wiederum war schon immer ein Freund endloser Gespräche, weil er so die Existenz seines Zwergstaates sichert – auch wenn sein Volk diese Meinung nicht teilt. In Ankara gibt es gewichtige Stimmen, die auf eine Verzögerung setzen. Sie warnen, die Trumpfkarte Zypern zu früh auszuspielen – also lange bevor geklärt ist, ob die Europäische Union der Türkei im Dezember überhaupt eine Beitrittsperspektive bietet.

Angesichts der politischen Diskussionen in Nikosia ist die Zustimmung der zyperngriechischen Bevölkerung zu einer Zypernlösung à la Annan – ganz anders als bei den Inseltürken – inzwischen an einem Tiefpunkt angelangt. Als Ausverkauf eigener Interessen wird sie von weiten Kreisen abgelehnt. Die Palette zyperngriechischer Änderungswünsche dürfte bei Rauf Denktasch Begeisterung hervorrufen, könnten doch die folgenden Detaildebatten dazu führen, dass am Ende garantiert kein Ergebnis zustande kommt.

Ankara und Nikosia treibt die Frage um: Hat die jeweils andere Seite wirklich nur unlautere Motive?

Doch weil sich dieses beliebte Procedere bis nach New York herumgesprochen hat, droht Kofi Annan nun mit harten Bandagen: Er verlangt, dass strittige Fragen von einem unabhängigen Schiedsrichter gelöst und anschließend von allen Seiten akzeptiert werden. Ein Referendum käme in jedem Fall zustande, ob mit oder gegen den Willen der Regierenden. Das stößt zwar auf den Widerstand von Papadopoulos. Doch der zypriotische Präsident wird wissen, dass damit der schwarze Peter bedrohlich zielstrebig in Richtung Nikosia wandert.

Sollten aber die Zypernverhandlungen im Dreieck zwischen Athen, Ankara und Nikosia wieder scheitern, dann wird dies nicht länger ein Problem sein, das lediglich ein paar hunderttausend Zyprioten angeht. Es droht eine Internationalisierung des Konflikts über Griechenland und die Türkei hinaus.

Europa hätte das zweifelhafte Vergnügen, mit Zypern nicht nur schöne Strände und imposante Gebirge eingekauft zu haben. Das EU-Mitglied Zypern könnte mit seinem Veto auf die Dauer jegliche Annährung der Gemeinschaft an die Türkei blockieren. Und im Südosten Europas würde Europa nicht für Freiheit und Wohlstand stehen – sondern für eine unüberwindliche Grenze aus Stacheldraht.

KLAUS HILLENBRAND