Die Rettung der Rente

Das kleine Dorf Laer im Münsterland hat eine rekordverdächtige Geburtenrate. Dem Rätsel des Kindersegens auf der Spur

„Kinderbetreuung muss endlich als Investition in den Standort begriffen werden,“ sagt die Forscherin

VON LEONIE LYDORF

Viele Einfamilienhäuser, Spielstraßen, zwei Kirchen. Ein kleiner Ort, kaum Menschen auf der Straße. Die wenigen, die man sieht, sind Mütter mit Kinderwagen. Eigentlich ein typisches Dorf, doch eins unterscheidet Laer von anderen: Die Geburtenrate. Mit 13,5 Geburten jährlich auf 1.000 Einwohner liegt das münsterländische Laer weit über dem Durchschnitt. Bundesweit liegt die Zahl bei 8,7 Neugeborenen. Liegt es an den überwiegend katholischen Einwohnern? Ab 22 Uhr schaltet die Straßenbeleuchtung Sparbetrieb. Hat das allabendliche Schummerlicht die gleiche Auswirkung wie der große Stromausfall 1977 in New York?

Regina Raue, Erzieherin im Henrich Valck Kindergarten in Laer hat eine andere Erklärung für die hohe Geburtenrate. „Es gibt hier einfach viele Familien“. Für die ist Laer „der ideale Ort“. „Hier können Kinder viel raus, ins Grüne“, sagt die Erzieherin. Auch die gute Anbindung nach Münster sei vorteilhaft. „Mittlerweile hat Laer ein gutes Angebot an Kinderbetreuung“: Mehrere Kindergärten mit Nachmittagsbetreuung und eine Ganztags-Grundschule stehen den Laerern zur Verfügung. Außerdem gibt es eine öffentlich geförderte Elterninitiative, die Kinder im Alter von vier Monaten bis sechs Jahren betreut. Jedes Kind, das einen Betreuungsplatz braucht, bekommt auch einen. „Alle Kinder werden erfasst“, sagt Regina Raue. „Das ist schon paradiesisch hier“, schwärmt Inge Behler, Leiterin des Ganztagszweigs der Grundschule.

Diese Absicherung erleichtert den Frauen in Laer den Spagat zwischen Arbeit und Kindern. „Kinder haben bei uns Priorität“, sagt der grüne Bürgermeister Hans-Jürgen Schimke. Er ist Landesvorstandsmitglied im Kinderschutzbund. 1999 machte Schimke Familienpolitik zum Wahlkampf-Thema und gewann – inmitten einer CDU-Hochburg. Dass die Familienförderung eine Strategie ist, die „aus der Not geboren“ wurde, räumt der Bürgermeister bereitwillig ein. Der Nachwuchs ist für die strukturschwache Gemeinde auch eine Einnahmequelle: Für jeden Einwohner erhält die Stadt 500 Euro jährlich vom Land NRW. Deshalb hat Schminke ein ehrgeiziges Ziel: Die Marke von 7.500 Einwohnern soll erreicht werden, rund 800 mehr als heute.

„Kinderfreundlich? Die Situation ist hier besonders schlecht“, meint Esther Wilbrant, Mutter von zwei Kindern. Sie ist erst vor kurzem von Münster nach Laer gezogen und überlegt, wieder zurück zu ziehen. „Die Spielplätze sind nicht intakt, die Schaukel ist kaputt“, beschwert sich Wilbrant, „im Sandkasten liegen Zigarettenkippen.“ Münster sei viel besser ausgestattet, vor allem das Angebot für ganz kleine Kinder sei größer. Außerdem gäbe es in Laer kaum Fußgängerüberwege. „Ich kann mein Kind nicht alleine zum Kindergarten schicken.“ Auf Beschwerden bei der Stadt habe es keine Reaktion gegeben. „Es sind Leute zur Stadt gegangen und haben gesagt, gucken Sie sich mal die Spielplätze an. Es wird nichts gemacht.“ Wilbrant hat eine andere Erklärung für die vielen Kinder: das billige Bauland. Gerade Familien mit vielen Kindern wären darauf angewiesen. Tatsächlich sollen bis 2013 am Ortsrand drei Baugebiete erschlossen werden, den Quadratmeter zu 105 bis 150 Euro.

„Laer hat die Zeichen der Zeit erkannt“, meint Kerstin Schmidt, Demografie-Forscherin bei der Bertelsmann-Stiftung. Denn: „Kinderbetreuung muss endlich als Investition in den Standort begriffen werden“.