Wohngenossencasting

Drum prüfe, wer sich bindet: Beim Vorstellungsgespräch in einer Wohngemeinschaft kommt vieles auf den Tisch – Gemüsekiste, Haushaltskasse und die fiese Vorgängerin

von LENA GORELIK

Die Wohnung sieht genauso aus, wie eine Studenten-WG auszusehen hat: bunt gestrichene Wände, an denen Postkarten, Nachrichten, Zeitungsausschnitte und witzige Plakate hängen, leere Bierflaschen und volle Aschenbecher in der Küche und ein charmantes Durcheinander aus Klamotten, CDs und Zeitschriften. In der Küche wird mit Freunden gekocht, ein Hund wuselt hin und her. „Ich bin Tobi“, stellt sich der Kandidat vor.

In der Vierer-WG auf der Reeperbahn wird ein Zimmer frei. Bernfried will für ein halbes Jahr verreisen. Es ist nicht einfach, einen Ersatz zur Zwischenmiete zu finden, wenn es um „die beste WG der Welt“ geht, wie auf den Küchenkacheln neben der aus der BILD ausgeschnittenen Schlagzeile „Das Kind soll Osama bin Laden heißen“ zu lesen ist.

Tobi sitzt in der Küche, schaut sich um. Die WG-Mitbewohner gehen ihrem Leben nach, kümmern sich nicht um ihn. Bernfried sitzt auf dem Fensterbrett, Caro ist am Kochen, Melina macht Tee. „Oh, Leute, wir haben keine Milch mehr“, stellt sie plötzlich fest und ist schon auf dem Weg zum Supermarkt.

Später wird der Kandidat durch die Wohnung geführt. Es sind wichtige Fragen zu klären: Wie laut darf Musik gehört werden, welche Möbelstücke will Bernfried im Zimmer lassen, warum ist die Wohnung eigentlich so verdammt teuer und wie viel Lärm ist am Wochenende vom Kiez zu hören? „Mein Zimmer ist unaufgeräumt“, sagt Caro, und Tobi geht rein, sieht sich alles an, nimmt Gegenstände in die Hand, fragt, was sie bedeuten. Der Hund wuselt immer noch hin und her. Melina trägt eine Armeehose, ihr Bauch ist tätowiert, ihre Haare kurz geschoren. Caros Haare sind dagegen leuchtend rot, ihr Kleid schwarz, sie läuft barfuß durch die Wohnung. Tobi – zerrissener Pulli, kaputte Turnschuhe – scheint die Wohnung noch bunter zu machen.

In der Küche erzählt Tobi, dass er sich in seiner WG nicht mehr wohl fühlt, weil er sich mit einer Mitbewohnerin nicht versteht. WG-Erfahrung bringt einerseits Pluspunkte. Andererseits wollen jetzt alle wissen, warum es Probleme gibt. Tobi beschreibt seine Mitbewohnerin – karrieregeil, macht die Tür zu ihrem Zimmer immer zu – und hat die Zuhörer auf seiner Seite. „Ich liebe WG-Geschichten“, sagt Melina. Dann wird er mit Fragen bombardiert: Was er denn studiert (Politik und Philosophie), wie es ihm gefällt („Es macht echt Bock“), wo er her kommt. „Und ihr?“

In der Küche steht eine große Gemüsekiste, und Bernfried erklärt, man habe ein Gemüse-Abo beim Biohof. „Wir kochen oft zusammen. Überhaupt unternehmen wir viel miteinander“, erzählt Caro. Jeder zahle am Anfang des Monats 50 Euro in die gemeinsame Haushaltskasse, eingekauft werde abwechselnd. „Uns ist es ganz wichtig, dass das hier keine Zweck-WG wird. Wir haben viel Spaß miteinander, und das soll so bleiben.“ Manchmal rufe Bernfried sie unterwegs an und sage: „Mädels, es gibt Essen.“

„Jetzt habe ich das Wichtigste noch gar nicht gefragt“, fällt Melina plötzlich ein. „Was hörst du für Musik?“ Früher habe er Drum ‘n Base gehört und jetzt ein bisschen Punk, erzählt Tobi und sammelt Pluspunkte. Was er denn genau an Punk-Musik höre, will Melina wissen. Caro und Bernfried ziehen sie auf, lästern, wie laut sie die Musik immer hört, und ein Gespräch kommt in Gang. Noch mehr Pluspunkte.

Irgendwann mal ist das Essen fertig, und Tobi ist herzlich eingeladen, mitzuessen. Er ist Vegetarier, im Essen ist Fleisch, und die Frauen bieten sich an, ihm Nudeln mit Soße zu kochen. „Ihr ruft mich an?“, will Tobi beim Gehen wissen. „Ja, wir rufen dich an, egal ob wir dich wollen oder nicht.“ Melina gibt ihm die Hand.