„Leiden in erheblichem Ausmaß“

Genüsslich verfolgt man in der Union den Niedergang der SPD in den Umfragewerten. Dass die Parteichefs Stoiber und Merkel jetzt Neuwahlen fordern, halten jedoch nicht alle für eine kluge Idee

BERLIN taz ■ Am Freitag hielt sich die Unionsführung mit dem Ruf nach Neuwahlen noch zurück. Eher pflichtgemäß verkündete CDU-Chefin Angela Merkel den „Anfang vom Ende“ der Regierung, der mit dem Rücktritt Gerhard Schröders als SPD-Chef begonnen habe. Am Samstag forderte sie dann, schon lauter, „Neuwahlen so schnell wie möglich“. CSU-Chef Edmund Stoiber gab in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung kund, „der beste Weg zum Wohle Deutschlands wäre: Schröder tritt sofort zurück und macht den Weg frei für Neuwahlen.“ Gestern bot dann CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer der Regierung schon wieder Hilfe an. „Wir werden all das unterstützen, was in die richtige Richtung geht“, so Meyer.

Es ist offenkundig, dass der Kanzler die Union mit seinem Schritt hochgradig überrascht hat. Neuwahl-Forderungen hin oder her – eigentlich will man zumindest in der CDU die SPD noch nicht von ihrer hausgemachten Pein erlösen. Im Merkel-Lager setzt man darauf, dass die Kluft zwischen Regierung und SPD einerseits und SPD-Stammwählern andererseits weiter wächst. „Auch in den nächsten Monaten liegt eine Tretmine neben der anderen“, heißt es schadenfroh, mit Blick auf die Rentenreform. „Die SPD leidet in erheblichem Ausmaß“, stellt CDU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach begeistert fest.

Jeder Frontalangriff der Opposition aber, so die Überlegung eines anderen Abgeordneten, würde im Moment nur dazu führen, dass sich die Reihen innerhalb der SPD schließen. Die CDU sollte sich daher genüsslich zurücklehnen, während die Sozialdemokraten schmoren. „Wir machen alles mit, was den Kesseldruck in der SPD erhöht“, sagte der CDU-Abgeordnete der taz. Man werde aber auch weiterhin „keine Opposition mit Schaum vorm Mund“ betreiben. Nicht nur er weiß: Die Union kann Neuwahlen nicht erzwingen. Eine unerhörte Forderung danach, befürchten manche, würde daher lediglich als Schwäche der Union wahrgenommen. So erklärt sich, dass Bosbach beteuert, die Forderung nach Neuwahlen werde doch „mit angezogener Bremse formuliert“.

Nicht zuletzt ist mit Neuwahlen untrennbar die Frage nach dem Kanzlerkandidaten verbunden – und die ist, so scheint es, noch immer nicht geklärt. Exkandidat Stoiber hat offenbar seine Hoffnung auf einen Einzug ins Kanzleramt noch immer nicht begraben. „Der will noch mal“, wurde unlängst ein Präsidiumsmitglied der CDU zitiert. Dazu passt, dass CSU-Generalsekretär Markus Söder in der heutigen Bild-Zeitung wissen lässt: „Die beiden Parteivorsitzenden von CSU und CDU sind die geborenen Kandidaten für das Kanzleramt.“ Allerdings liegt CDU-Chefin Merkel, die ihre Macht üppig ausgebaut hat, im Rennen um die Kandidatur derzeit vorn. Für die Klärung der K-Frage, so heißt es inzwischen in der CDU selbstbewusst, sei „noch nicht einmal ein Frühstück in Wolfratshausen nötig“.

Viele in der CDU wollen sich daher mit dem Griff nach der Macht bis 2006 Zeit lassen. „Die SPD wird bis dahin alle Wahlen verlieren“, freut man sich. Gefährlich werden könnte der Union nur eines: eine Einladung zu einer großen Koalition. Falls der Rücktritt Schröders als Parteichef auch erfolgt sei, um sich für einen solchen Schritt Spielraum zu verschaffen, sei dies „eine brillante Kiste“, konzediert ein Christdemokrat. Dann nämlich ginge es mit der SPD wieder bergauf – und für die CDU bergab. Kein Wunder also, dass es für eine solche Lösung in den Reihen der Konservativen derzeit „überhaupt keine Vorliebe“ gibt. ANDREAS SPANNBAUER