Carlos Menem mitschuldig an AMIA-Bombe?

Der blutige Bombenanschlag auf das jüdische Gemeindezentrum AMIA in Buenos Aires 1994 ist noch immer nicht aufgeklärt. Jetzt will ein Richter herausfinden, ob die argentinische Regierung die Ermittlungen behindert hat

BUENOS AIRES taz ■ Hat die argentinische Regierung die Aufklärung des Bombenanschlags auf das jüdische Hilfswerk AMIA vor 14 Jahren zielstrebig hintertrieben? Dazu soll der frühere Präsident Carlos Menem jetzt vernommen werden. Außer Menem sollen sechs weitere Personen aussagen, darunter sein Bruder Munir und der damals ermittelnde Richter Juan José Galeano.

Bei dem Bombenanschlag am 18. Juli 1994 auf das Gebäude der AMIA im Zentrum von Buenos Aires wurden 85 Menschen getötet und etwa 300 verletzt. Das siebenstöckige Gebäude war zur Hälfte weggerissen und eingestürzt. Mehr als 400 umliegende Wohnungen und Geschäfte waren ebenfalls zerstört oder beschädigt worden. Die Bombe befand sich in einem Renault Trafic, der in der Pasteurstraße, Hausnummer 633, vor dem Gebäude der AMIA stand. Der Wagen gehörte einem gewissen Carlos Telleldín, und der wiederum telefonierte noch acht Tage vor dem Anschlag mit dem syrischstämmigen Geschäftsmann Alberto Jacinot Kanoore Edul, einem Freund des Präsidenten Carlos Menem. Kanoore Edul machte sich auch dadurch verdächtig, dass in seinem Notizbuch eine ungewöhnlich lange Liste von elf Automechanikerwerkstätten gefunden wurde sowie die Telefonnummer und die Adresse von Mohsen Rabbani, dem damaligen Kulturattaché der iranischen Botschaft, der bereits eine Woche nach dem Anschlag in den Kreis der Verdächtigen gerückt war und bis heute von Interpol gesucht wird.

Untersuchungsrichter Ariel Lijo vermutet nun, dass Kanoore Edul durch Menem geschützt wurde. In seiner Begründung schreibt der Richter, dass „der Abbruch“ der Ermittlungen gegen den Textilfabrikanten unmittelbar mit dem Besuch von dessen Vater im Regierungsgebäude am 1. August 1994 in Zusammenhang stehe. Die sogenannte „Syrische Spur“ wurde danach nicht mehr weiterverfolgt. Munir Menem, zuständig für die Audienzen im Regierungsgebäude, soll im Namen von Präsident Carlos Menem die Einstellung der Ermittlungen gegen Kanoore Edul und Personen aus seinem Umfeld erwirkt haben. Eine ähnliche Anweisung sei damals auch an die „Sicherheitskräfte und den Geheimdienst“ gegangen, sagt Lijo.

Die Beziehungen zwischen der Familie Kanoore Edul und Carlos Menem wurzeln in der gemeinsamen syrischen Vergangenheit und Abstammung. Während Menems Präsidentschaft (1989–1999) war Vater Edul ein häufig gesehener Besucher im Regierungsgebäude.

Für den Präsidenten der AMIA, Guillermo Borger, ist die Vorladung Menems ein Fortschritt. „Jeder noch so kleine Schritt tut gut, denn er zeigt uns, dass die Angelegenheit in Bewegung ist.“ Doch die Vernehmungen werden „den Fall nicht lösen“, so Borgers nüchterne Einschätzung. Dagegen erwartet Sergio Burstein, Mitglied der Gruppe der Familienangehörigen und Freunde der Opfer, dass die sieben Personen nicht als Vertuscher behandelt werden, „sondern als das, was sie sind: Komplizen der Verantwortlichen des Attentats auf die AMIA“.

Menem, der gegenwärtig als Senator für seine Heimatprovinz La Rioja im argentinischen Oberhaus sitzt und bis 2011 parlamentarischen Immunität genießt, hat jegliche Verantwortung von sich gewiesen. Seine Vernehmung ist für den 9. Dezember angesetzt. Innerhalb von zehn Tagen entscheidet dann der Richter, ob gegen den 78-Jährigen ein Verfahren eingeleitet wird. JÜRGEN VOGT