Der Andreas Baader des Riddim

Eine radikale, die soziale Not einatmende, Mächte der Finsternis ausatmende und – ob man will oder nicht – durchaus exzellente Musik: Capleton mit seinem zum Destillat gebrannten Dancehall in der Markthalle

„Wenn Bob Marley heute ein Jugendlicher wäre, würde er sehr nach Capleton klingen“

von NILS MICHAELIS

Als er noch Clifton Bailey hieß, wollte er Anwalt werden, wurde aber Sänger und hätte doch das Zeug zum Revolutionsführer gehabt. Capleton kann man sich als eine Art Andreas Baader des Dancehall vorstellen: gut als Einpeitscher des Aufstandes, heikel für danach, weil doch etwas zu übergeschnappt. Ein Schwergewicht im Showbusiness also, wo groß wird, wer Verkündungen verkörpert.

Seine äußere Erscheinung, die sehr nachdrücklich auf dem Cover der Platte Still Blazin inszeniert wurde, gemahnt an jene archaischen Zeiten, als die Welt noch zwischen die Buchdeckel des Koran oder der Bibel passte. Von rötlichem Fackelschein beleuchtet senkt sich Capletons Blick mit feierlichem Ernst dem Betrachter zu. Symbolbeladen wie der Turban einer orthodoxen Rastasekte, der seinen Kopf umhüllt, ist auch der zepterhafte Hirtenstab, vom entschlossenen Griff seiner Hände fixiert. Den Hang zur Priesterstaffage mag man von Roots-Sängern wie Luciano kennen. Doch wo letzterer die neutestamentarische Botschaft der Liebe und des Vergebens verkündet, da weist Capleton eine Affinität zur unbarmherzigen Problemlösung per Flamme auf.

Vielleicht ist dies der Rückschlag des historischen Pendels, eine Art Anti-Aufklärung, die einen Capleton ebenso hervorgebracht hat wie einen George W. Bush – wenngleich hier nicht unerwähnt bleiben darf, dass beide die je gegenüberliegenden Seiten der Macht verkörpern. Und doch gibt es noch etwas, das Capleton über ein bloß fundamentalistisches Sektierertum erhebt: eine radikale, die soziale Not einatmende und die Mächte der Finsternis ausatmende Musik. Eine, ob man will oder nicht, ganz exzellente Musik. Sie lässt diese mächtigen Bässe hören, hat große, bestürmende Melodien, die von einer berserkerhaften Stimme vorgetragen werden, die davon weiß, dass ihr Zorn heilig ist.

Kaum verwunderlich ist da, dass das Verhältnis Capletons zu Dancehall ein puristisches ist. Wo Beenie Man und bisweilen Buju Banton Dancehall dadurch bereichern wollen, indem sie genrefremden Stilen die Hand reichen, und eine Musik produzieren – die zwar stilistisch breit ist, aber künstlerisch flach erscheint –, da brennt Capleton Dancehall zum Destillat. Als vor zwei Jahren seine mit Hits beladene Platte More Fire erschien, schien es, als hätte die Musik der Konkurrenz das Salz vergessen. Genau deshalb ist der etwa geschmeidige Beenie Man international vermarktbar, während Capleton dies nur bedingt ist. Er macht es einem nicht einfach, ihn zu mögen.

Doch genau dafür hat sich die Jamaikanische Sozialwissenschaftlerin Carolyn Cooper entschieden. Ein Text Coopers für die empfehlenswerte Reggaezeitschrift Riddim, der die Geschichte der Feuer-Metapher verfolgte und auch auf die homophoben Implikationen Capletonscher Tiraden hinweist, schließt mit den versöhnenden Worten: „Um die Wahrheit zu sagen, wenn Bob Marley heute ein Jugendlicher wäre, würde er sehr nach Capleton klingen.“

Donnerstag, 21 Uhr, Markthalle