Von Angst und Zweifeln zerrissen

In Köln wenden sich jährlich 25 bis 30 junge Frauen an „agisra“, weil sie von Zwangsverheiratung bedroht sind. Die Beratungsstelle für Migrantinnen berät und betreut jene, die ihre Familie verlassen

VON Jeanette Seiffert

Als junges Mädchen wurde Serap Cileli gegen ihren Willen verheiratet. „Ich habe viele Jahre Einsamkeit, Schweigen und Selbstverleugnung hinter mir“, erzählt die türkischstämmige Frau, die inzwischen nicht mehr in Köln lebt. Irgendwann habe sie es geschafft, aus den Familientraditionen auszubrechen und sich scheiden zu lassen.

Heute kämpft Serap Cileli für andere junge türkische und arabische Frauen gegen den Zwang zur Heirat. Etwa auf Veranstaltungen wie jene am Donnerstag Abend in der Kölner „Alten Feuerwache“. Zu dem Info-Abend eingeladen hatte „agisra Köln e.V.“, eine Beratungsstelle für Migrantinnen. Zur Sprache kamen Fälle aus der Praxis.

Dem Druck standgehalten

Etwa 20 bis 25 Kölner Mädchen und junge Frauen wenden sich jedes Jahr an agisra, weil sie von Zwangsverheiratung bedroht sind. Fälle wie die der 17-jährigen Türkin, die vor einiger Zeit in die Beratung kam: „Sie erzählte, dass ihre Familie sie zwänge, ihren Cousin zu heiraten. Und dass sie das nicht wollte, weil sie ihn nicht liebte und er wie ein Bruder für sie wäre“, sagt Behshid Najafi von agisra, die das Mädchen betreut und über ihre Rechte und Möglichkeiten aufgeklärt hat. Die junge Frau hat dem Druck ihrer Familie standgehalten und ihren Verwandten nicht geheiratet. Sie musste ihre Familie verlassen. Heute lebt sie in einer anderen Stadt, ständig in der Angst, gefunden und mit Gewalt zurückgeholt zu werden.

Nicht viele Mädchen wagen diesen Schritt . Die meisten sind völlig abhängig von ihren Familien, weiß Behshid Najafi. „Das ist eine sehr schwierige Situation für die Mädchen. Sie wollen diesen Mann nicht heiraten, aber sie lieben ihre Eltern. Manche bleiben in dieser unterdrückten Situation, weil sie ihre Familie nicht verlassen wollen.“

Innerlich zerrissen zwischen den eigenen Bedürfnissen und den Ansprüchen der Eltern, sind sie psychisch am Ende, wenn sie zu agisra kommen. „Viele leiden an Symptomen wie Schlafstörungen, Atemnot oder Herzproblemen, einige haben Selbstmordversuche hinter sich. Die Mädchen sind völlig traumatisiert.“ Die Psychologin Ida Schrade betreut die Frauen oft monatelang. Häufig kommen die Frauen auch erst zu ihr, wenn sie längst verheiratet sind. Viele sind jahrelang misshandelt und vergewaltigt worden. Auch wenn sie den ungewollten Ehemann verlassen, leiden sie unter der Situation. „Sie haben Schuldgefühle gegenüber der Familie, fühlen sich als Verräterin.“

Ein Fall fürs Jugendamt

Die Gesetzeslage indes ist eindeutig: Zwangsehen sind in Deutschland wie auch in der Türkei verboten, im ersten Jahr können sie nachträglich aufgehoben werden. Wenn es sich um Minderjährige handelt, muss das Jugendamt einschreiten und das Mädchen im Notfall vor der Familie schützen. In der Realität tun sich die Behörden aber oft schwer mit solchen Fällen. Das erlebt agisra-Mitarbeiterin Elif Yesilgöz auch hier in Köln immer wieder. „Viele können mit der Situation der Mädchen wenig anfangen. Oft stößt man auf die Ansicht, dass es sich um eine reine Familienangelegenheit handelt, in die man sich nicht einmischen darf. Da müssen wir Einiges an Aufklärungsarbeit leisten.“

Viele Ämter sind hin- und hergerissen zwischen den Interessen der Mädchen und dem Recht der Eltern, etwa zu wissen, wo ihre Tochter sich aufhält. Bekannt werden die Vorfälle ohnehin nur, wenn die betroffenen Frauen sich zur Wehr setzen. Und das ist nur selten der Fall.