„Keiner soll ins Bodenlose fallen“

Der grüne Wirtschaftssprecher Werner Schulz kritisiert die Reformpläne des Kanzlers, warnt vor der Kürzung des Arbeitslosengeldes und verlangt „Politik statt Repression“

taz: Herr Schulz, bei Grünen und SPD gibt es viel Unmut wegen der Sozialkürzungen, die der Kanzler anstrebt. Stimmen Sie der Linie der Regierung zu?

Werner Schulz: Die große Linie muss noch stimmiger gemacht werden. Bei den angepeilten Sozialreformen ist die Regierung nicht mutig genug. Jetzt wäre der Zeitpunkt, die soziale Grundsicherung einzuführen. Die bloße Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe reicht nicht aus.

Die Regierung plant, die Arbeitslosenhilfe abzuschaffen und auf wenig mehr als Sozialhilfeniveau zu senken. Brauchen die Langzeitarbeitslosen eine bessere Finanzierung?

Die bedarfsorientierte Grundsicherung würde den Leuten vor allem zeigen: Es gibt eine Auffanglinie. Ihr müsst nicht mehr um das Kleidergeld beim Sozialamt betteln. Ihr bekommt nicht viel, aber ihr müsst euch nicht demütigen. Es ist wichtig, dass man die Menschen erreicht. Das fehlt im Augenblick.

Ist die Senkung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau das Signal für soziale Sicherheit, das Sie verlangen?

Über das Niveau kann man sicher noch streiten. Sie sollte deutlich über der Sozialhilfe liegen. Und man darf den Arbeitslosen ihr Erspartes nicht wegnehmen.

Was halten Sie von der geplanten Befristung des Arbeitslosengeldes auf zwölf, für ältere Jobsuchende auf 18 Monate?

Ich finde das zum gegenwärtigen Zeitpunkt höchst fragwürdig. Wenn durch die schlechte Konjunktur die Arbeitslosigkeit zunimmt, braucht man doch bessere Versicherungsleistungen, und nicht schlechtere. Außerdem beruht das, wie schon die Hartz-Reform, auf einer Fehlanalyse: Das Problem liegt nicht bei der Vermittlung, sondern beim Fehlen von Arbeitsplätzen. Wir brauchen weniger Repression und mehr Wirtschaftspolitik.

Woher sollen Jobs kommen?

Wir müssen die Arbeit rentabler machen, zum Beispiel durch eine höhere Ökosteuer, die es ermöglicht, die Lohnnebenkosten zu senken. Auch eine höhere Mehrwertsteuer kommt dafür in Frage. Außerdem sollten wir schleunigst den Wehr- und damit auch den Zivildienst abschaffen. Dann würden hundertausende neue Jobs in Krankenhäusern und Altenheimen entstehen.

Aber nur, wenn der Staat sie marktgerecht bezahlt. Sie plädieren dafür, die öffentliche Beschäftigung auszudehnen?

Ja, sicher. Wir leisten uns den Luxus eines Sektors fast kostenloser Arbeit, während uns die Erwerbslosigkeit über den Kopf wächst.

Im Gegensatz zu Ihnen scheint die grüne Fraktionsführung mit Schröders Ideen einverstanden zu sein.

In der Vergangenheit hat sie am Konzept der sozialen Grundsicherung mitgearbeitet. Man muss der Partei beim bevorstehenden Sonderparteitag zumindest erklären, warum es jetzt nicht umgesetzt wird.

Soziale Sicherheit, öffentliche Beschäftigung: Ändert der als liberal bekannte Politiker Werner Schulz seine Linie?

Ich verstehe mich nicht als neoliberal, sondern als linksliberal. „Flexicurity“ ist ein Kunstwort aus Flexibilität und Sicherheit. Niemand darf ins Bodenlose fallen. Wer aber mehr will, muss sich selbst kümmern.

INTERVIEW: HANNES KOCH