Nicht zur Globalisierung bereit

Chinas Außenpolitik steckt in einer Krise. Die Ursachen dafür analysiert der Sinologe Gustav Kempf

Was ist los im einst für seine schrillen außenpolitischen Töne bekannten Peking? Von den fünf ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrates äußert sich China am zurückhaltendsten zum Irakkonflikt. Die Regierung in Peking lehnt einen Krieg gegen den Irak zwar ab, aber sie möchte die US-Regierung offenbar nicht herausfordern.

Die Regierung hält sich selbst im Konflikt um Nordkoreas Atomprogramm auffällig zurück, obwohl China das Nachbarland mit Öl und Lebensmitteln unterstützt. Ein von Pjöngjang ausgelöstes nukleares Wettrüsten in Ostasien, ein Zusammenbruch Nordkoreas oder gar ein Krieg wären für China fatal. Doch die Regierung in Peking ergreift keine eigenen Initiativen, sie fordert nur Nordkorea und die USA zur Mäßigung auf. Washingtons Drängen zu mehr Engagement igoniert sie.

Sicher haben der KP-interne Führungswechsel und die Regierungsneubildung ein entschlossenes Auftreten erschwert. Doch verbirgt sich hinter Pekings Zurückhaltung vor allem ein tiefer Wandlungsprozess der chinesischen Außenpolitik, den Gustav Kempf in seinem neuen Buch beschreibt.

Hinter diesem Pseudonym verbirgt sich der Spitzendiplomat des Auswärtigen Amtes und Asienkenner Volker Stanzel. Aus gutem Grund: Diplomaten müssen Manuskripte vom Ministerium genehmigen lassen, wenn sie etwas veröffentlichen wollen. Da dies angesichts der bei China auf dem Spiel stehenden großen Interessen zu Allgemeinplätzen geführt hätte, wählte der Autor außer einem anderen Namen auch eine ungewöhnliche Form. Statt durchgängig selbst Chinas Außenpolitik zu analysieren, lässt der Sinologe und Japanologe Stanzel sie von internationalen Fachleuten diskutieren. Diese Szenen aus öffentlichen Diskussionveranstaltungen oder privaten Treffen von Kollegen, Wissenschaftlern und Journalisten sind nach Angaben des Autors authentisch. Geändert wurden nur Namen und Berufe.

Während Insider manche Person identifizieren können (auch der Autor outet sich in einer Fußnote), ermöglicht der gewählte Ansatz, die gängigen Argumente auszutauschen und kritisch zu hinterfragen. Da es aufgrund der schnellen, oft widersprüchlichen Entwicklungen in diesem riesigen Land ohnehin keine sicheren Prognosen gibt, ist es keine falsche Bescheidenheit, wenn sich Kempf teilweise zurücknimmt und eher als interessierter Nachfrager auftritt.

Herausgekommen ist ein umfassendes Standardwerk, das aus der Analyse der verschiedenen bilateralen Beziehungen ein Gesamtbild von Chinas Außenpolitik entwirft. Kempfs Fazit: Für viele der aktuellen Herausforderungen hat China noch keine befriedigenden Antworten gefunden. So eben auch beim Nordkoreakonflikt. Ihn bezeichnet Kempf als „Chinas Problem“, denn Peking sei am nichtnuklearen Status quo auf der koreanischen Halbinsel interessiert und müsse daher Einfluss nehmen. Doch sowohl die engen Beziehungen zu Washington als auch zu Pjöngjang beschränkten die Einflussmöglichkeiten. Habe früher China Nordkorea als Instrument der chinesischen Außenpolitik betrachtet, so sei es heute eher umgekehrt.

Analysiert wird auch das seit dem Ende der Blockkonfrontation von Peking vertretene Konzept der Multipolarität. Damit glaube die Regierung, die geeignete außenpolitische Formel gefunden zu haben, obwohl sie nicht leugnen könne, dass es noch eine Supermacht gibt. Peking betrachte Multipolarität allerdings als Prozess und versuche deshalb, die Macht der USA durch ein angestrebtes Bündnis der schwächeren Pole zu begrenzen. Dies sei nicht zu verwechseln mit westlichen Multilateralismuskonzepten, die auf dem Gedanken basierten, dass sich in einer globalen Welt nationale Interessen besser über supranationale Organisationen als national umsetzen lassen.

Peking tue sich mit seiner internationalen Einbindung schwer, weil dies als Strategie des Westens gesehen wird, die China in der Welt zustehende Rolle vorzuenthalten. „Dann wäre nämlich die Akzeptanz des internationalen Regelwerks gleichbedeutend mit der Zustimmung Chinas zu seiner eigenen Eindämmung“, so Kempf.

Das Buch endet mit Chinas Schwierigkeiten mit der Globalisierung. Die Volksrepublik sei modernisierungs-, aber nicht globalisierungsbereit, denn die Chinesen verstünden Modernisierung oft noch im Sinne des 19. Jahrhunderts als Industrialisierung, aber nicht als Globalisierung, so ein Gesprächspartner. Daraus und aus der Tatsache, dass hunderte Millionen chinesischer Bauern noch weit von modernem Denken entfernt seien, erkläre sich die widerstrebend auf die Globalisierung eingestellte Außenpolitik. Daraus hat Kempf den Untertitel „Wege einer widerwilligen Weltmacht“ abgeleitet. SVEN HANSEN

Gustav Kempf: „Chinas Außenpolitik. Wege einer widerwilligen Weltmacht“, 224 Seiten, Oldenbourg Verlag, München 2002, 24,80 €