Konsumieren für Amerika

Endlich ist klar, wie der Beitrag der US-Bürger zum Krieg aussehen soll. Das Kommando aus Washington lautet: Überzieht eure Kreditkarten! Grüße von der Heimatfront (6)

Trotzdem verblüfft die Chuzpe, mit der Bush verkündet: Wir können Krieg führen u n d die Kasse plündern

Mein Fernseher ist nur bedingt kriegstauglich. Ich empfange kein CNN, dafür allerdings Fox, Rupert Murdoch’s „God bless America and George Bush“-Kanal. Weil der jedoch nur nach erheblichem Alkoholkonsum zu ertragen ist, beschränke ich meinen TV-Konsum auf ABC, deren Reporter die Strapazen und Härten des Krieges in die heimischen Wohnzimmer tragen sollen. Diese sind „eingebettet“ bzw. embedded, wie es so schön auf Englisch heißt. Dahinter steckt die neue Form des Extremjournalismus: der „Ultra Ironman“ für den Journalisten – und womöglich auch das „Ultra Desaster“ für das Pentagon, sollte der Krieg weiterhin anders verlaufen, als das Drehbuch vorsieht.

Vormittags aber menschelt es im Programm, wenn das überwiegend weibliche TV-Publikum bedient werden soll. Die „eingebettete“ Reporterin gratuliert im Wüstenzelt einem Panzerfahrer, der gerade von der Niederkunft seiner Frau daheim erfahren hat. Die Moderatorin im New Yorker Studio befragt mit eingeübtem „I can feel your pain“-Ausdruck im Gesicht Angehörige der amerikanischen Kriegsgefangenen „Fürchten Sie, dass Ihre Cousine vergewaltigt wird?“ Eine junge Soldatin der US-Marines (in Gardeuniform) hält ihr Baby (im Tarnfarben-Strampelanzug) vor die Kamera, weil sie keinen Babysitter findet und somit nicht in den Irak ausrücken kann. Patriotische Aushilfseltern müssen her, bevor die geplante Befreiung der Iraker einen weiteren Rückschlag erleidet.

Das Problem ist: Bislang müssen allein Soldatenfamilien herhalten, um den Krieg im Irak auch in Ohio oder Arkansas ein bisschen spürbar zu machen. Denn die Opferbereitschaft der Amerikaner, beklagt die New York Times, sei nicht mehr das, was sie einmal war. Zugegeben, bei der Oscar-Verleihung verzichtete man auf die Starparade über den roten Teppich, und die Baseballteams haben ihre Vorbereitungsspiele in Japan abgesagt. Bloß sind das nicht gerade schmerzhafte Einschnitte in den Alltag an der Heimatfront.

Diese aber muss am kollektiven Opfergang beteiligt werden, fordert der Geschichtsprofessor David Kennedy, sonst geht sie irgendwann von der Fahne. Im Ersten Weltkrieg verordnete Woodrow Wilson meatless Tuesdays und wheatless Wednesdays (dienstags kein Fleisch, mittwochs kein Brot); im Zweiten Weltkrieg sammelten Pfadfinder Altmetall für die Kriegsproduktion, Präsident Roosevelt ließ das Benzin rationieren und die Herstellung von Autos stoppen, weil man Material und Arbeitskräfte für die Rüstung brauchte. Während des Vietnamkrieges aber, warnt Kennedy, habe Präsident Johnson den Amerikanern zu Hause bedauerlich wenig zugemutet. Heute weiß man ja, wohin das führte.

Und jetzt? Angenommen, das Weiße Haus würde die Bänder bei Ford und General Motors anhalten, das Benzin rationieren, einen fleischlosen Wochentag einführen und die Steuern erhöhen. Einerseits müsste Michael Moore dann sofort damit aufhören, George W. Bush zu beschimpfen; andererseits würden militante Geländewagenfahrer eine „Operation American Freedom“ ausrufen und militante Republikaner nach einem Double für den Präsidenten suchen.

Wie also soll der Beitrag des normalen US-Bürgers zum Krieg im Irak aussehen? Ganz einfach: Das Kommando aus Washington lautet nicht: Schnallt den Gürtel enger!, sondern: Überzieht eure Kreditkarten! Geht einkaufen, bis die Tüten platzen, auf dass die Wirtschaft gar nicht merkt, dass Krieg ist!

Patriot ist, wer konsumiert. Aber will etwa der New Yorker überhaupt Teil dieser „großen, noblen Anstrengung“ (New York Times) sein? Domingo, der bei mir an der Ecke (zu) teures Bier, Lottoscheine und Empanadas verkauft, weiß überhaupt nicht, was ich mit der Frage meine. Herr Choi, der die Änderungsschneiderei an der 134. Straße betreibt, tut, als reiche sein Englisch nur für Hosenaufschläge und Hemdenknöpfe. Die Kriegsveteranen von der American Legion in der 132. Straße haben von „Opfergängen“ und „noblen Unternehmen“ die Nase so voll, dass sie in ihrem Lokal einen Aufruf zur Friedensdemo aufgehängt haben. Diese nicht repräsentative Umfrage lässt nur einen Schluss zu: New York ist für die USA nicht repräsentativ. Der Stadt fehlte immer schon der martialische Geist. Hier ist man zu beschäftigt, um ständig „God Bless America“ zu singen.

Zudem haben die New Yorker am 11. September 2001 genügend Opfer bringen müssen. Sie merken in diesen Tagen besonders schmerzlich, wie die Strapazen einer republikanischen Kriegswirtschaft verteilt werden. Im Kongress wird nicht über Steuererhöhungen gestritten, sondern darüber, ob George Bush den obersten Einkommensschichten 350 oder 700 Milliarden Dollar schenken darf. In diesen Einkommensschichten dürften sich auch die Chefs jener Öl- und Bauunternehmen befinden, denen man jetzt die Milliardenaufträge für den Wiederaufbau des Irak zuschustern will.

An prominenter Stelle steht die Firma Halliburton, die einst Vizepräsident Dick Cheney beschäftigte, und andere Unternehmen, „deren Enthusiasmus für die Republikaner ein Vermögen an Parteispenden hervorgebracht hat“ (so der New Yorker). Wie finanziert man solche Geschenke? Durch Haushaltsdefizit und Rotstift. Um „Verschwendung, Betrug und Missbrauch“ zu unterbinden, hat das Repräsentantenhaus bereits Budgetkürzungen von 265 Milliarden Dollar verabschiedet. Betroffen sind vor allem Kindergärten (trotz des Appells der oben erwähnten Soldatin), Essensprogramme in den Schulen, Hilfen für Behinderte, Obdachlose und die viel zitierten working poor. Leider gibt es in deren Wohngebieten keine „eingebetteten“ Reporter und im Fernsehen derzeit keinen Platz für Innenpolitik.

Leider gibt es in den Wohngebieten der viel zitierten „working poor“ keine „eingebetteten“ Reporter

Folglich behandelt die Bush-Administration den inländischen Protest gegen ihre Haushaltspolitik genauso wie den internationalen gegen ihre Außenpolitik: Sie zeigt, mehr oder weniger diplomatisch verbrämt, den ausgestreckten Mittelfinger.

Trotzdem verblüfft die Chuzpe, mit der das Weiße Haus verkündet: Wir können Krieg führen und die Kasse plündern. George W. Bush, so heißt es, wolle nicht den Fehler seines Vaters wiederholen, der trotz gewonnenen Krieges nicht wiedergewählt wurde, weil er keine Antwort auf die Nöte der „kleinen Leute“ hatte. Nur: Der Sohn macht nicht den Eindruck, als hätte er daraus ökonomische Lehren gezogen. Eher schon hofft er auf einen Wahlsieg im dauerhaften Kriegs-und Ausnahmezustand, wie ihn die Falken des Pentagon in ihren „großen Entwürfen“ zu Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens entworfen haben: erst Irak, dann Syrien, dann Iran.

Richard Perle, jener ominöse, omnipräsente Mitautor und Berater des Pentagon, streut seine Ambitionen geografisch weiter. Vor ein paar Tagen nahm er an einer Telefonkonferenz der Investmentbank Goldman & Sachs teil. Anlageberatung in Kriegszeiten war das Thema. Der genaue Titel: „Implikationen eines bevorstehenden Krieges. Irak jetzt, Nordkorea als Nächstes?“ Mit schönen Grüßen von der Heimatfront ANDREA BÖHM