Sieben Wochen ohne …

Potestantismus trifft auf Wohlfühlwoge. Die protestantische Kirche entdeckt das Fasten. Eine Aktion zwischen Sinnsuche und Lifestyle. Ein Gespräch mit Pastor Jörn Thießen über die Kultur des Fastens

Interview SABINE BERKING

taz: Was hat Fasten mit Fastnacht zu tun?

Jörn Thießen: Fasten ist eine alte Tradition, die es in nahezu allen Religionen gibt. Nach Überzeugung der meisten, die sich damit beschäftigten, kommt sie daher, dass es im Rahmen der Nahrungskette des Jahres immer Zeiten gab, in denen die Menschen die neue Ernte erwarteten und von der alten nur noch zum Teil leben konnten

Und die Fastnacht?

Fastnacht wird gedeutet als die Nacht vor dem Beginn des Fastens, da wird das Leben noch einmal gefeiert. Danach kommt eine Zeit, die mit Askese zu tun hat. Fasten meint ja traditionell nicht nur, nichts oder wenig zu essen, sondern auch, seine sexuellen Triebe zu zügeln; deshalb werden sie vorher noch einmal kräftig ausgelebt. Und: Fasten ist auch eine Vorbereitung auf ein Fest, das Osterfest. In Schwaben und in der Schweiz hat die Volkssprache auch noch das Wort „Fasnacht“ bewahrt, was von „faseln“, das heißt „Unsinn treiben“, kommt. Die Fastnacht geht auch auch auf die Fruchtbarkeitskulte der Antike zurück.

Hat Fasten im Protestantismus Tradition?

Fasten ist keine protestantische Tradition: Sie ist von Luther aufgenommen worden, weil sie in der Kirche eine lang geübte Praxis war. Luther ist mit eher langen Fingern daran gegangen und mit dem Hinweis: Das Fasten selbst sei kein Verdienst. Es kann sinnvoll sein, zu fasten, damit man sich auf sich besinnt und auf den Herrn, also als selbstreflexiver Prozess, aber es ist keine in der Reformation angelegte Tradition. Im Gegenteil: Die Reformation hat das Fasten abgeschafft als ein Werk, mit dem du dir Verdienste beim Herrgott erwirtschaften kannst. Ähnlich wie die Ablassbriefe oder das Rosenkranzbeten.

Seit wann gibt es die protestantische Fastenaktion „7 Wochen ohne“?

Die ist jetzt genau 20 Jahre alt. Sie wurde in der Nordelbischen Kirche erfunden und ist dann sehr schnell sehr groß geworden. Heute beteiligen sich nach einer Emnid-Umfrage zwei Millionen Menschen daran. Es ist gewissermaßen eine Wiederbelebung des Gedankens, wozu eigentlich gefastet wurde. Als Reflexionszeit, als Rückbesinnung auf eigene Werte, auf gesellschaftlich verlorene Werte. Das hat mit unglaublichem Erfolg eingeschlagen.

Wie funktioniert das?

Man kann Fastenbriefe ordern, die Aktion im Internet verfolgen, sie im privaten Kreis und in der Gemeinde besprechen. Dieses Jahr steht die Aktion unter dem Motto „Lebens(t)räume“. Man nimmt sich etwas vor, das schreibt man auf, und natürlich gibt es keine Kontrolle außer einem selbst, das ist also höchst protestantisch.

Es ging doch im Protestantismus 300 Jahre ohne Fasten, warum jetzt wieder fasten?

Ich denke, dass es bei Menschen, die überhaupt über das Leben nachdenken, immer solche Zeiten gegeben hat. Man muss nur ein Symbol dafür finden, und man trifft auf ein Bedürfnis, das ohnehin schon da ist. Der Erfolg liegt darin, dass viele in dieser Konsumgesellschaft die Nase voll haben von den Angeboten. Und das wird mit einer Körper- und Geistbesinnung und auch mit religiösen Besinnungsanbindungen beantwortet, die letztlich mit der Kirche nichts zu tun hat. Der große Erfolg gründet sich eben auch darauf, dass es eine Aktion ist, die nicht nur von der Kirche getragen wird.

Springt die Kirche auf den Lifestylezug auf?

Am Ende muss man sehen, was religiöse Textur ist. Die gibt es in der ganzen Gesellschaft, auch außerhalb kirchlicher Organisationen. Das hat noch nichts mit organisierter Kirche zu tun, aber die Bindung des Menschen an sich, seine Bedürfnisse und die Bedürfnisse anderer ist religiöse Grundtextur und insofern ein Missionsauftrag. Ja, wir springen auf einen Zug, aber auf einen der religiösen Nachfrage. Das ist keine institutionelle Nachfrage, sondern eine nach Sinn. Ob wir damit Kircheneintritte vermitteln, weiß ich nicht, zumindest glaube ich es nicht.

Der Protestantismus trifft sich also mit einer Wohlfühlwoge?

Ja, er trifft sich damit und er hat eine klare Rückbindung: Wenn es dir besser geht, dann wirst du auch andere in den guten Sog mitnehmen. So wie Luther sagt: „Ein guter Baum trägt gute Früchte.“ Die Katholiken würden vielleicht eher sagen: „Mach möglichst viele gute Früchte, dann glauben wir auch, dass du ein guter Baum bist.“

Jörn Thießen, geboren 1961, studierte Evangelische Theologie, Germanistik und Geschichte der Medizin in Kiel und Berlin. Seit Oktober 2002 ist er Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr in Strausberg. Informationen und Austausch über die Fastenaktion der Ev. Kirche in Deutschland: www.7-Wochen-ohne.de