Zähne und Hälse zeigen

Per Blutsauger an die Trombosen des Lebens: In ihrem kabarettistischen „Biss des Vampirs“ tranchiert Autorin Jutta Heinrich genüsslich eigentümliche Typen der Gattung Mensch

Interview: LIV HEIDBÜCHEL

Jutta Heinrich ist 1. Vorsitzende des Literaturzentrums, P.E.N.-Mitglied und leitet regelmäßig Schreibwerkstätten. Seit ihren Anfängen, 1977 erschien ihr Romandebüt Geschlecht der Gedanken, verfasst sie Romane, Erzählungen und Theaterstücke. Biss des Vampirs heißen die jüngsten Monologe der Autorin, die sie als literarisches Kabarett im goldbekHaus präsentiert. Bei ihren Beobachtungen macht Heinrich vor keinem Typus der lieben Zeitgenossen Halt: Ob gebeutelter Ehemann, Gesundheitsfanatikerin oder selbstgefälliger Literat in stilisierter Schaffenskrise – stets punktgenau und überraschend, dabei aber nie comedyhaft vorführend, nähert sich Heinrich derlei Eigenarten.

taz hamburg: Sind Sie mit den knappen, boshaften Beobachtungen Ihres Kabaretts bei ihrer Lieblingsform angekommen?

Jutta Heinrich: Momentan interessiert mich die Form des Vermittelns über Ironie und Humor. Ich verpacke meinen analytischen Blick in eine literarisierte Wortform, und durch die Komik der gesetzten Worte entsteht ein Überraschungsmoment des Erkennens. Das ist ein sehr schwieriges Schreiben. Aber es macht mir sehr viel Vergnügen. Ich stelle fest, dass Heiterkeit im Schreiben schwerer ist als Depressives.

Warum?

Dieses trübsinnige Schreiben mantscht sozusagen im Gewölk von Missbefindlichkeiten, während das Heitere das Luzide braucht. Die Heiterkeit ist nur als Heiterkeit vermittelbar, wenn ich sie selber luzide durchleuchtet habe. Man muss viel genauer sein beim Humor. Ich bin aber keine Wortverarbeitungsmaschine der politischen Sachen oder so eine Häckselmaschine, wo dann nochmal neue Sätze rauskommen, die wir schon hundertmal gehört haben. Bei mir springt der Humor heraus, indem er die Analyse freigibt. In der Überraschung der Formulierung liegt die Analyse.

Was sind die Themen in Biss des Vampirs?

Das sind alles kleine Szenen. Das fängt an mit dem Hochnehmen, wie die Deutschen sich im Urlaub verhalten. Oder es gibt eine Szene, wo eine Frau ihren Mann mit all ihrer fürsorglichen Mütterlichkeit, weil sie nicht an ihn herankommt, fast zu Tode füttert. Das ist ja nun eine Beschreibung, in der sich jede Zweite drin wiederfindet. Das sind alles Geschichten aus dem wirklichen Leben, nur eben unerhört zugespitzt. Im Mittelpunkt steht immer eine Person und an der mache ich fest, dass Menschen gar keine Menschen mehr sind, sondern nur noch Gewohnheit. Wir alle sind ja voll von schützenden Gewohnheiten. Je ungeschützter das Leben, um so mehr Gewohnheiten haben wir. Statt Freiheit suchen wir eigentlich eher die schwitzende, verschwiemelte Geborgenheit.

Früher haben Sie sie kritisch beleuchtet – welche Rolle spielt die Geschlechterfrage heute in ihren Texten?

Selbstverständlich habe ich großes Erbarmen mit allen diesen Geschlechtsrollenverhafteten, mit Männern und Frauen. Das ist ja in gewisser Weise ihr Wiederholungszwang. Daraus können sie sich nicht befreien. Das ist in jedem Stück von mir drin: Dieses Leiden an der Wiederholung eines selbst auferlegten Zwangs, eine spezielle Frau oder ein spezieller Mann zu sein.

Dieses Leiden lockt dann den Vampir. Wer ist das eigentlich?

Bei mir ist der Vampir der, der das Totenreich bereits kennt. Er beißt da hinein, wo die Menschen eigentlich schon Vampirblut haben, also nicht mehr lebendig sein können. Da, wo ein Lebensstau ist, wo das Leben nicht mehr zirkuliert, da beißt der Vampir rein. Das ist eine Art Aderlass, um den Kreislauf wieder in Gang zu bringen.

Fühlt sich das Publikum nicht leicht angegriffen, wenn von oben das Diktat kommt: Hallo, hier diagnostiziere ich einen Lebensstau?

Bei mir ist ja alles übermäßig stark. Ich schütte ganze Körbe an Geschenken aus und die Leute können sich daraus ein Angebot nehmen. Ein Angebot, das ihnen passt. Und das erlöst mich auch von so einer idiotischen Hoffnung, dass die vielleicht etwas lernen sollten. Aber ich freue mich natürlich, wenn ich das Gefühl habe, dass die Leute mal so richtig entschlackt worden sind und über sich gelacht haben.

Freitag, 20 Uhr, goldbekHaus