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: „Humanitäre Katastrophe“ – auch diese Drohung verdient Misstrauen

Eine furchtbare Vorstellung. In der irakischen Stadt Basra, deren Eroberung die US-Militärs soeben zum legitimen Kriegsziel erklärt haben, sind zwei Millionen EinwohnerInnen seit Tagen von Wasserversorgung und Strom abgeschnitten, deswegen von Seuchen bedroht und in Todesangst vor Bomben, Raketen und Schießereien. „Eine humanitäre Katastrophe“, warnen Hilfswerke in und außerhalb des Irak.

 Aber so einfach ist es nicht. Die irakische Regierung und internationale Hilfswerke haben nach eigenen Angaben den Ausfall der Trinkwassernetze vorausgesehen und vorgesorgt. Nach kurzem Totalausfall erhielten dem Roten Kreuz zufolge 40 Prozent der Einwohner Basras wieder Wasser aus der Leitung – ob sie die anderen 60 Prozent mitversorgen können, wissen wir nicht. Auch wie viele Menschen hier schon vor den Angriffen der USA keinen individuellen Zugang zum Leitungsnetz gehabt haben, wird in diesen Tagen nicht erörtert.

 Um besser zu verstehen, was vor sich geht, verdient jede Drohung mit einer humanitären Katastrophe die gleiche misstrauische Distanz wie jedes Militär-Kommuniqué zum Schlachtenglück, geschweige denn die Nachrichten, die die Medien daraus machen. Denn auch die „Hilfsindustrie“ mit ihren tausenden von Hauptamtlichen vor Ort oder entlang der Grenzen verfolgt Eigeninteressen – ohne Not braucht es keine Retter, und die Konkurrenz um Spenden und staatliche Zuschüsse ist groß.

 Zudem sind oftmals die Übergänge zwischen potenzieller Gefahr und akuter Krise so fließend, dass die Hilfsorganisationen schon äußerst genau formulieren müssen, um die Risiken angemessen darzustellen. Wer sich nicht vor Ort aufhält, sondern etwa in der Hauptstadt eines Nachbarlandes, mag dann zu Aussagen greifen, die vom Hörensagen geprägt sind. Und fehlt ein gewisses Maß an konkreter Information, beginnen unweigerlich die Medien – und auch die Fantasie der Adressaten! –, jede Warnung zur Apokalypse fortzuentwickeln.

 Dabei haben die Organisationen ihre Arbeit gut gemacht, Flüchtlingslager rund um Irak aufgebaut und unermüdlich Vorräte an die Bevölkerung und an Krankenhäuser verteilt. Die Widersprüchlichkeit einer solchen Arbeit liegt darin, dass Politiker und Spender kaum je das Ausbleiben einer Katastrophe würdigen, sondern ihre Bekämpfung, nachdem sie eingetreten ist. Dieser Logik sollten wir nicht verfallen. Der Krieg ist auch so schon schlimm genug. DIETMAR BARTZ