Angst um die Nachbarn

Der Alltag in Saudi-Arabien geht trotz des Irakkriegs weiter. Und im Gegensatz zu früher kann auch politisch diskutiert werden

aus Dschiddah DAHLIA RAHAIMY

Wut und Verzweiflung sind die vorherrschenden Gefühle, wenn Saudis dieser Tage die Nachrichten verfolgen. Stunde für Stunde wird über die Zahl der irakischen Toten und Verletzten berichtet – und mit einiger Schadenfreude über die Verluste der Gegenseite. Mit viel Hoffnung auf ein baldiges Ende des Krieges und mit Gebeten, dass Präsident Bush diesen Krieg doch noch mit Gottes Willen verlieren möge, gehen die Menschen durch den Tag.

Anders als im Golfkrieg vor zwölf Jahren hat sich diesmal der Alltag in Saudi-Arabien kaum verändert. Damals wagte sich kaum einer auf die Straße, als die Luftangriffe begannen. Diesmal war es ein ganz normaler Donnerstag, als die Bomben auf Bagdad fielen. Damals gab es für ungefähr zwei Wochen kaum Zivilflüge. Heute, vier Tage nach dem Beginn des dritten Golfkriegs, hat fast keine Fluggesellschaft ihre Flüge gestrichen.

„Bis auf ein paar Hochzeiten, die aus Solidarität mit unseren irakischen Brüdern und Schwestern verschoben wurden, ist alles beim Alten“, erzählt Maha, 28, aus Dschiddah. „Für mich wäre es undenkbar, ein Fest zu feiern, während Nachbarn leiden.“

Dschiddah liegt am Roten Meer, 1.800 Kilometer von Bagdad entfernt. Aber Arar im Norden ist nur 500 Kilometer von der irakischen Hauptstadt entfernt. Trotzdem teilen die Bewohner der Stadt die Sorglosigkeit ihrer Mitmenschen aus Dschiddah. „Bis jetzt gibt es keinen Grund zur Unruhe. Die Behörden haben alle Vorsichtsmaßnahmen für unsere Sicherheit getroffen“, sagt ein Bauer. Sein kleiner Sohn fügt aber besorgt hinzu: „Wir hoffen, dass wir genug Futter für unsere Schafe haben werden.“

Immer wieder betonen die Medien die Grausamkeit dieses Krieges und bringen die Enttäuschung über vertane Möglichkeiten für eine friedliche Lösung zum Ausdruck.

Rabea, 55, meint, dass die Angst vor Saddam hauptsächlich die Angst vor Massenvernichtungswaffen ist und dieser Krieg mit etwas mehr Geduld hätte vermieden werden können. Viele denken so: „Saddams Macht beruht doch nur auf der ständigen Angst, dass er von diesen Waffen Gebrauch gegen sein Volk oder Nachbarländer machen könnte“, sagt Arwa, 29. „Geben sich die USA und Großbritannien deswegen das Recht, einfach so im Irak einzumarschieren und diese Grausamkeiten zu begehen?“ Keiner glaubt den USA, dass dieser „Krieg für die Freiheit des irakischen Volks“ geführt wird.

Für die Menschen hier ist klar geworden, dass die US-Regierung vor allem ihre eigenen Ziele in der Region verfolgt. „Wer hat den Amerikanern und Briten das Recht gegeben, sich als Weltpolizei aufzuspielen? Warum nehmen sie sich das Recht, andere Länder zu befreien? Sie mischen sich in die innenpolitischen Affären anderer ein. Das Recht auf Selbstbestimmung darf keinem Volk entzogen werden“, entrüstet sich Nour, 52.

Zurzeit erinnern sich wenige an Saddams Grausamkeiten gegen sein eigenes Volk oder gegen seine Nachbarn in Iran und Kuwait. Eher drehen sich die Diskussionen über die Pläne der US-Regierung in der Region. Nach dem Scheitern des Weltsicherheitsrats zweifeln viele an der Macht der Vereinten Nationen und sorgen sich um die Zukunft der Länder dieser Erde. „Welche Regierung wird als nächste angegriffen?“ fragt Sami, 58. „Mit diesem Krieg hat sich doch bewiesen, dass niemand vor den Amerikanern sicher ist. Morgen ist vielleicht Uganda an der Reihe oder Deutschland.“

Allerdings beschränkt sich die Solidarität der Saudis auf das irakische Volk. Unschuldige Menschen würden umgebracht, „und dafür machen wir Amerika verantwortlich“, sagt der Journalist Ahmad, 33. „Saddam ist nicht unser Problem, er ist das Problem seines Volkes; sollen sie ihn doch abwählen oder umbringen. Niemand hat das Recht, sich da einzumischen.“

Diese Meinung teilen auch Ausländer in Saudi-Arabien, besonders Deutsche. Uschi Sassi, die Anfang der 70er-Jahre nach Dschiddah gekommen ist, erzählt, sie sei sich bewusst, dass die wahren Ziele der Amerikaner weit über den Sturz der irakischen Regierung hinausgehen.

Niemand hier wird Saddam nachtrauern, nur ist in den Augen der Saudis der Preis zu hoch. Und damit meinen sie nicht nur die Opfer des Kriegs im Irak, sondern insbesondere den Alleingang der Amerikaner und Briten. Eigentlich mag niemand Hussein, aber George Bush ist wahrscheinlich genauso unpopulär.

Immerhin ist das politische Bewusstsein des einfachen saudischen Bürgers durch diesen Krieg gewachsen. Mit den Ereignissen ergeben sich öffentliche Analysen und Aufklärung, die früher kaum möglich waren. Eine Art politische Befreiung, die Freiraum für Diskussionen schafft. Es vergeht keine Gelegenheit ohne einen Witz oder eine beiläufige Bemerkung über die Ereignisse des Tages. Angst vor Überwachung der Telefonate gibt es nicht mehr. Überall wird alles bis ins kleinste Detail diskutiert. In Moscheen wird für Frieden in der Welt gebetet und für ein baldiges Ende des Leidens der Iraker.

Am Freitag versprach sich der Imam in einer Moschee in Dschiddah beim Beten für die Mudschaheddin (Glaubenskämpfer) im Irak. Welche Mudschaheddin, im säkularen Irak? Vielleicht meinte er das irakische Volk.