Ein Kannibale ist kein Mörder

Mit einem weltweit beachteten Urteil schreibt das Landgericht Kassel Justizgeschichte: Armin Meiwes beging Totschlag, nicht Mord, als er einen Menschen aufaß. Achteinhalb Jahre Haft

KASSEL taz/afp/ap ■ Für viele Deutsche ist es ein makaberer Einzelfall, unappetitlich vielleicht, aber ohne weitere Relevanz. Doch das gestrige Urteil im so genannten Kannibalenprozess gegen Armin Meiwes hat weltweit Aufmerksamkeit erregt wie sonst nur wenige Nachrichten aus Deutschland. So führten etwa BBC und New York Times Meiwes’ Verurteilung zu achteinhalb Jahren Haft wegen Totschlags auf ihren Websites unter den internationalen Top-News. Der „Senior International Correspondent“ des US-Nachrichtensenders CNN erklärte die Faszination mit dem Satz: „In der sauberen, demokratisch-ordentlichen deutschen Gesellschaft schien ein solcher Fall unvorstellbar.“

In der Bundesrepublik konzentrierte sich die Aufmerksamkeit gestern auf die Entscheidung des Gerichts, Meiwes nicht wegen Mordes zu verurteilen. Das Kasseler Landgericht erkannte vielmehr auf Totschlag, weil der 42-jährige Computertechniker vor knapp zwei Jahren den Berliner Bernd Jürgen B. erstochen und später Teile seines Fleisches gegessen habe. „Die Tötung und weitere Verwertung der Leiche war Teil einer Vereinbarung zwischen Täter und Opfer“, sagte Richter Volker Mütze in der Begründung des Urteils, „für beide war der andere das Instrument zur Erfüllung der eigenen Wünsche.“ Das Gericht widersprach damit der Staatsanwaltschaft, die auf Mord aus niedrigen Beweggründen plädiert hatte. Das Gericht befand, Meiwes habe seine Tat zwar „geplant, überlegt und zielgerichtet ausgeführt“, habe dabei aber vom Einverständnis seines Opfers ausgehen können. Daher stehe die Tat „nicht auf der tiefsten ethischen Stufe“ eines Mordes. Rechtliche Mordmerkmale lägen nicht vor. Staatsanwalt Marcus Köhler kündigte Revision beim Bundesgerichtshof an.

Nach dem gut acht Wochen dauernden Prozess um einen Präzedenzfall der deutschen Rechtsgeschichte folgte das Gericht letztlich weder der Staatsanwaltschaft noch der Verteidigung. Die Verteidigung hatte auf Tötung auf Verlangen plädiert, wonach höchstens fünf Jahre Freiheitsstrafe hätten verhängt werden können. Anwalt Harald Ermel erklärte jedoch, Meiwes sei es besonders wichtig, dass er nicht wegen Mordes verurteilt sei.

Richter Mütze sagte, bei Opfer und Täter liege ein irrationales, von der zivilisierten Gesellschaft geächtetes Verhalten vor. Vor dem Hintergrund ihrer psychischen Störungen sei dies aber nachvollziehbar. Ihr freier Wille sei nicht ernsthaft eingeschränkt gewesen. PAT

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