Die Reifeprüfung

Ob gelb, ob grün – in der Bananenreiferei im Großmarkt ist jede Farbe machbar. Nur braun dürfen die sensiblen Früchtchen nicht werden

von Anke Schwarzer

Meterhoch sind die Kisten gestapelt, Tomaten-rot, Clementinen-orange leuchtet ihr Inhalt. Wie fleißige Insekten brummen Gabelstapler durch die langen, schmalen Gänge. Die Kistentürme, die auf den Holzpaletten balanciert werden, schwanken bedenklich hin und her. Draußen, vor der Halle, donnern Lkws über das riesige Areal zwischen Amsinckstraße und Oberhafen. Mit ihrer Ladung vom „Hamburger Großmarkt für Obst, Gemüse und Blumen“ beliefern sie den norddeutschen Einzelhandel.

Es ist 8 Uhr und Volker Kliewer hat bald Feierabend. „Viel Schlaf ist nicht drin bei diesem Job“, erzählt der Bananenreifer und Geschäftsführer der Hanseatischen Fruchtvertriebsgesellschaft (Hafru), die auf dem Großmarktgelände ihren Sitz hat. Gegen 22.30 Uhr wird der Stand aufgebaut, um Mitternacht treffen die ersten Großkunden ein.

Einmal die Woche, meistens montags, läuft ein Kühlschiff aus Kolumbien den Hamburger Hafen an, das Bananen geladen hat. Acht bis zehn Tage ist der Frachter unterwegs, der Kliewer jede Woche zwischen 3.000 und 5.000 Kartons mit grünen Bananen liefert.

Die weit verbreitete Cavendish-Sorte, die er vertreibt, stammt aus den Monokulturen Mittelamerikas. Flugzeuge sprühen Gift gegen Pilze und Kronenfäule über die Plantagen, auf denen auch die Bananeros mit ihren Familien wohnen. Die Pflanzer müssen Mittel gegen Würmer spritzen und Plastikfolien, die mit Insektengift imprägniert sind, um die wachsenden Bananenbüschel wickeln. Viele von ihnen erkranken an Augen, Haut, Magen und Leber, manche sind unfruchtbar geworden. Gewerkschaften sind in der Regel verboten.

Aber die Sorgen der Landarbeiter sind für Kliewer weit weg, eine Bananenplantage hat er noch nie besucht. Er zieht den Deckel eines Kartons hoch, die Bananen liegen aneinander geschmiegt in einer dünnen Folie. Die Landarbeiter vor Ort haben die Büschel in „Hände“ zerteilt, einzelne Bananen, die bei der Ernte beschädigt wurden, abgetrennt und die Früchte in ein Konservierungsbad getaucht, damit sie kein Äthylen mehr produzieren. Dieser Stoff nämlich heizt die Reifung an. Um Fäule zu vermeiden, werden die Schnittstellen mit Kautschuk versiegelt.

Weil die Früchte sehr empfindlich und die Kunden in Deutschland höchst penibel sind, behandeln die Pflücker sie mit großer Vorsicht. Kommt die Lieferung bei Kliewer an, nimmt er sie dennoch genau unter die Lupe. Eine feine Nase, gute Augen und sensible Hände sind seine Arbeitsgeräte. Behutsam streicht er über die Bananen. „Die sind noch jung, weil sie steinhart und eckig sind.“ Im Gegensatz zu den gut gereiften dicken, runden Bananen haben die früh geernteten, kleinen Früchte noch nicht viel Stärke entwickelt und brauchen länger, bis sie gelb werden. Bananen, die bereits reifen oder sich gar schon in einen gärigen Matsch verwandelt haben, muss er sofort entfernen – sie könnten die anderen anstecken und die gesamte Lieferung verderben.

Mehrmals täglich geht Kliewer in seine Reiferei und sieht nach dem Rechten. Hinter der schweren Tür des Kühlbereichs stapeln sich die Bananenkisten. Ein Ventilator sorgt für Luftzirkulation, zweimal am Tag wird 30 Minuten lang gelüftet. Elektronische Thermometer garantieren angemessene Temperaturen – je nachdem wie schnell die Früchte gelb werden sollen. Kliewer dreht am Hahn einer Gasflasche und leitet Äthylen in eine der Kammern. Sie bleibt jetzt 24 Stunden verschlossen, die Temperatur liegt bei mindestens 14,5 Grad, damit das Gas wirken kann. Es weckt die Bananen aus dem Schlaf und aktiviert den Reifeprozess.

Zum Bananenreifen braucht man keine formale Ausbildung, ein älterer Kollege hat ihm die Technik gezeigt. Schnell musste Kliewer selbst ran: „In den ersten Monaten ging natürlich alles drunter und drüber. Jede Lieferung ist anders. Wenn man nicht aufpasst, werden die Bananen zu schnell reif oder sie werden grau und unansehnlich.“ Kliewer könnte die Temperatur per Computeranlage auch vollautomatisch regulieren. Aber er verlässt sich lieber auf sein Gefühl und auf seine Erfahrung.

Die Kunst besteht darin, täglich genau das in Quantität und Qualität anbieten zu können, was der Einzelhandel will. „Wir müssen alle Farben vorrätig haben. Eine Saftbar möchte reife, gelbe Früchte, ein Supermarkt eher hellgelbe mit grünen Spitzen“, sagt der Bananenreifer und schält sich eine Mandarine.