Terror-Dilettanten

Annette Pullen inszeniert Gregory Burkes Groteske „Gagarin Way“ im Thalia in der Gaußstraße. Darin entführen die Arbeiter Eddie und Gary aus Versehen den Falschen und fuchteln mit der Pistole

Man kann gehen, ein innerer Drang zwingt einen dennoch zum Bleiben

von KATRIN JÄGER

Am 12. April 1961, Franks 16. Geburtstag, flog der Sowjetbürger Juri Gagarin als erster Mensch ins All. „Du Sack,wie verdammt nochmal hat deine Mama das hingekriegt“, faucht Eddie (Andreas Doehler) Frank (Hartmut Schories) an. Eddie ist neidisch. Nicht nur, weil Frank seinen Ehrentag mit Held Gagarin teilt. Frank hat Macht, denkt Eddie, weil er, mittlerweile Endfünfziger, leitender Angestellter ist und Eddie nur Arbeiter. Zusammen mit seinem Kollegen Gary hat er Frank entführt. Abgesehen hatten sie es auf einen japanischen Geschäftsmann „des gehobenen Managements auf Geschäftsreise“, wie Eddie ausführt.

Leider haben sie den Falschen gegriffen. Tom (Asad Schwarz-Msesilamba), den Diplompolitologen und Wachmann der Firma, haben sie erst zum Komplizen gemacht, dann auch einkassiert. Denn der studierte Kollege gehört ihrer Ansicht nach zur feindlichen Klasse. Nun hocken die vier zusammen in der nächtlichen Fabrikhalle, in aussichtsloser Lage. Eddies Plan: „Wir führen ein kleines Gespräch über unsere Kritik am multinationalen Kapitalismus. Dann erschießen wir die Sau.“ Gemeint ist Frank. Dieses Gespräch gerät in Gregory Burkes Stück Gagarin Way zur aussichtslosen Groteske. Schlagworte fallen: Kommunismus, Kapitalismus, ein hilfloser Versuch, die eigene, bedrückende Situation in Worte zu kleiden. Das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein, die Tatsache, in der Firmenhierarchie ganz unten zu stehen.

„Das Problem ist: Sie reden viel, ohne etwas zu sagen“, so die junge Regisseurin Annette Pullen. Sie kürzt in ihrer Umsetzung die Hälfte der wortlastigen literarischen Vorlage weg. Stattdessen flicht sie Passagen aus Büchners Dantons Tod und revolutionäre Lieder ein. „Wichtig ist der Punkt, dass die Charaktere leere Worthülsen benutzen, aber keiner seine eigene Sinngebung findet.“

Deutschlandpremiere hatte Gagarin Way im vergangenen Jahr parallel in Essen und Leipzig. Beide Inszenierungen haben Pullen nicht recht gefallen. „Zu naturalistisch“, findet sie. Die Essener versetzen die im schottischen Arbeitermillieu angesiedelte Geschichte in den Ruhrpott mit den entsprechenden Proll-Figuren in glänzenden Trainingsanzügen. In Leipzig sitzen die Opfer, dem Text entsprechend, gefesselt da, eine täuschend echt geschminkte Wunde klafft an Franks Stirn. Eddie tritt in regelmäßigen Abständen auf die Opfer ein.

Diese Äußerlichkeiten interessieren Pullen nicht. Sie lässt deshalb die Tritte weg, Frank und Tom ungefesselt. „Im Prinzip können sie jederzeit gehen, aber sie tun es nicht. Die Frage ist spannend: Was hält die vier beieinander?“ Ein Hauch von Sartres Geschlossene Gesellschaft: Man kann gehen, ein innerer Drang zwingt dennoch zum Bleiben, und man macht sich das Leben gegenseitig zur Hölle. Eddie und Tom halten, bevor Gary die Geisel Frank anschleppt, eine Art Prolog über die sartresche Problematik von wahrem Selbst und Authentizität.

Bei aller Brutalität, mit der Eddie und Gary Tom und Frank behandeln, „sind sie keine Monster. Sie sind vielmehr Opfer ihrer Situation. Sie sind sympathisch, weil menschlich, mit allen ihren Unzulänglichkeiten“, sagt Pullen. Und komisch, wie sie sich verstricken in den Versuchen, die großen Ideologien auf die eigene Situation herunterzubrechen. Losertypen, die es nicht einmal bringen, die richtige Person zu entführen. Burkes Stück ist eine düstere Komödie, und so hält es auch Pullen. „Es soll auf jeden Fall ein komischer, leichter Abend werden. Kein kluger Disput über Globalisierung. Es geht um politischen Widerstand, zeigt aber auch, dass eine konfuse Planung fatale Folgen haben kann. Diese Männer sind Terror-Dilettanten.“

Auf der Bühne von Petra Winterer liegt eine Raumkapsel, Gagarins Kapsel. „Gagarin symbolisiert Grenzüberschreitung, aber auch menschliche Unzulänglichkeit“, sagt Pullen. „Den Sprung ins All hat er geschafft, später ist er bei einem Trainingsflug ums Leben gekommen.“

Fr + So, auch 28.3. + 12.4., 20 Uhr, Thalia in der Gaußstraße