Der allmächtige Autor kann gehen

Zwar bestimmt der Webmaster – der heimliche Autor – Outfit und Regeln des Computerspiels. Seinen Verlauf dirigiert aber wesentlich der Spieler. Das Verhältnis von Film und Game beleuchtete das soeben beendete 22. Braunschweiger Filmfest

Ökonomisch haben die Spiele das Kino inzwischen überholt. Global wird mit Computer-Games mehr Umsatz gemacht als mit den Blockbustern aus Hollywood. Und so verstieg sich ein Moderator bei der Vortrags- und Filmreihe mit dem schönen Titel „Can a Videogame make you cry?“ im Rahmen des am Wochenende zu Ende gegangenen Filmfests Braunschweig zu der Aussage, so wie der Film im vergangenen Jahrhundert sei das Computerspiel das Leitmedium des 21. Jahrhunderts.

Mal abgesehen davon, dass es noch ein paar Dekaden zu früh für solch eine Aussage ist, widerspricht dies der Ausgangsthese von Rolf F. Nohr, der zusammen mit der Festivalleitung diese Veranstaltungsreihe konzipiert hat. Der Juniorprofessor für Medienkultur an der HBK Braunschweig sieht das Computerspiel eher als einen Bastard: einen Hybriden aus Computer, Fernsehen, Telefon, Film und Buch, denn entgegen der allgemeinen Einschätzung gehören Text und Dialoge zu den wichtigsten Bestandteilen der Spiele.

In welchem Rahmen die klassische Dramaturgie bei den Spielen noch Bestand hat, war eine der Kernfragen des kleinen Symposiums, zu dessen Gästen unter anderem die Gamesdesign-Professorin Linda Breitlauch und der Softwareentwickler Franz Stradal gehörten. Sicher ist, dass der allmächtige Autor, der die Herrschaft über die von ihm erdachte Geschichte hat, im interaktiven Spiel keinen Platz mehr hat. Hier soll der Spielende aktiv in die Geschichte eingreifen, diese nach seinen Wünschen und Fähigkeiten lenken können.

Aber natürlich gibt es im Spiel immer noch Autoren, auch wenn sie jetzt Webdesigner genannt werden. Sie bestimmen die Regeln des Spiels, seine Richtung, sein Aussehen sowie die Charaktere und Fähigkeiten der Figuren. Doch kein Computerprogramm ist perfekt, und wie komplex inzwischen das Verhältnis der User zu den Spielen geworden ist, zeigt sich bei den so genannten Machinimas, für die in Braunschweig ein Workshop abgehalten wurde. Dieses Kunstwort, das aus „machine“, „cinema“ und „animation“ montiert wurde, bezeichnet Filme, die User auf „Game-Engines“ gebastelt haben.

Doch „User“ ist hier schon die falsche Bezeichnung, denn diese Spielenden sind alles andere als passive Benutzer, sondern Spiele-Hacker, die sich Fehler in den Programmen zunutze machen, aus dem vom Hersteller gesetzten Rahmen ausbrechen und somit wirklich zum souveränen Spieler zu werden. So lassen sie etwa ballerwütige Ego-Shooter surreale Dialoge führen, die an das absurde Theater von Samuel Beckett erinnern. Andere Figuren beginnen darüber nachzudenken, ob sie nicht Figuren in einem Computerprogramm sind, und oft nimmt man sie aus dem eigentlichen Spielverlauf heraus und lässt sie zweckbefreit durch die Spielwelten springen. „Trick-jumping“ heißt diese Aneignung der Spiele durch die Nutzer, und das Ergebnis ist paradoxerweise erst einmal ein Rückschritt, denn ihre Werke sind wieder lineare Filme, die nachdem sie erst mal fertig sind, nichts Interaktives mehr an sich haben. Auch hier kommt man also zurück zum Kino – so wie ja auch Spielfilme oft die Dramaturgie von Spielen kopieren.

In dem japanischen Actionfilm „Like a Dragon“ von Takasshi Miike zum Beispiel, der in Braunschweig zu sehen war, ist von einer Handlung im herkömmlichen Sinne kaum noch etwas übrig. Auf den ersten Blick markante Figuren, wie ein rebellischer Ex-Yakuza, ein scheinbar unbesiegbarer Gangster und ein kleines, tapferes Mädchen, das seine Mutter sucht, kommen hier in immer bizarrere Kampfsituationen. Dabei gibt es anstelle einer Lösung immer nur eine Steigerung. Dieses „auf das nächste Level kommen“ erkennt Prof. Rolf.F. Nohr – außer in vielen kommerziellen Filmen – inzwischen auch in Fernsehserien wie „24“ und „Six Feet Under“, aber überzeugend gelöst ist dieses erzählerische Problem für ihn bisher noch nicht.

Der vielleicht interessanteste Gast in Braunschweig war Kai Rosenkranz, der Musik für Videospiele komponiert und davon sogar leben kann. Bei seinen Soundtracks zu den Spielen „Gothic 1-5“ geht es darum, „Klanghäppchen“ von nicht mehr als 4 Takten zu schreiben, die nicht zu dominant sind, damit der Spieler sie auch bei 1000. Mal noch ertragen kann. Außerdem muss er sie so konstruieren, dass sie in allen denkbaren Variationen zu- und übereinander passen.

Pro Game komponiert er etwa anderthalb Stunden Musik, die jeweils zu Tageszeiten, Spielsituationen und Figuren passen und von großen klassischen Orchestern eingespielt wurden. Übrigens hat der Ehrengast des Festivals, der Filmkomponist Michael Nyman, auch schon für das Computerspiel „Enemy Zero“ geschrieben. In seiner „Master Class“ verriet er, dass er diese Musik später für seine Vertonung des Stummfilms „Der Mann mit der Kamera“ einfach wiederverwendet hat. Auch das ist also ein Spiel mit verschiedenen Levels.

WILFRIED HIPPEN