Leichte Zerknirschung

Nicht Andrea Ypsilanti, sondern Thorsten Schäfer-Gümbel soll die SPD bei den Neuwahlen im Januar anführen

Franz Müntefering, SPD-Bundesvorsitzender: „Andrea Ypsilantis Verzicht macht den Weg frei für eine Verjüngung und einen Neustart“ der Sozialdemokraten in Hessen. Ronald Pofalla, CDU-Generalsekretär: „Der SPD-Kandidat steht für alles, was Frau Ypsilanti in den letzten Monaten angerichtet hat.“ Cem Özdemir, designierter Bundesvorsitzender der Grünen: „Dass die hessische SPD sich als Chaostruppe erweist, war nicht abzusehen. Im Vergleich zu Frau Ypsilanti und Herrn Walter war selbst Jutta Ditfurth in ihren schlimmsten Tagen noch reformfähig und gut sortiert.“ Guido Westerwelle, FDP-Bundesvorsitzender: „Es wäre das Mindeste, dass Andrea Ypsilanti den Mut und die Charakterstärke hat, sich zur Wahl zu stellen.“ Bodo Ramelow, Spitzenkandidat der Linken in Thüringen: „Wer SPD heute wählt, entscheidet sich für einen Zufallsgenerator: Keiner weiß, was dabei herauskommt.“ Joschka Fischer, Ex-Umweltminister in Hessen: „Sollte es zu Neuwahlen kommen, wird das nicht nur die SPD treffen, sondern, ich glaube, generell die linke Seite des demokratischen Spektrums.“ DPA, TAZ

AUS FRANKFURT KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Am Sonnabend gab Andrea Ypsilanti nach einer Sitzung des hessischen SPD-Parteirates im Frankfurter Gewerkschaftshaus ihren – vorläufigen – Verzicht auf die Spitzenkandidatur für die Neuwahl des hessischen Landtages bekannt. Landespartei- und Landtagsfraktionsvorsitzende will die 51 Jahre alte Rüsselsheimerin allerdings weiterhin bleiben.

Die Neuwahlen werden vermutlich am 18. Januar 2009 stattfinden, anführen soll die Traditionspartei SPD dabei der Landtagsabgeordnete Thorsten Schäfer-Gümbel (siehe Portrait unten). Der zuvor parteiintern noch als Spitzenkandidat gehandelte Chef der SPD Hessen-Nord, Manfred Schaub, wollte seinen Namen mit der prognostizierten Wahlniederlage seiner Partei dann offenbar doch nicht (mehr) in Verbindung gebracht sehen – und verzichtete noch vor Sitzungsbeginn.

Schon nach der letzten seriösen Umfrage noch vor dem Debakel vom vergangenen Montag, als vier SPDler ihrer Landeschefin die Gefolgschaft verweigerten, kam die SPD schließlich auf nur noch 24 Prozent der Wählerstimmen. Ein Minus von 13 Prozent im Vergleich zum Wahlergebnis von Januar 2008.

Nach einer Blitzumfrage von Infratest in der vergangenen Woche können CDU und FDP bei den Neuwahlen im Januar, die von fast 80 Prozent der befragten Hessen befürwortet werden, mit einer Mehrheit von zusammen 52 Prozent rechnen – falls die Linke (5 Prozent) tatsächlich wieder in den Landtag einziehen sollte. Wenn nicht, dürften Union und FDP dann noch besser dastehen. Übrigens klatschten 49 Prozent der Befragten den Dissidenten um Jürgen Walter Beifall – selbst jeder vierte Anhänger von SPD und Grünen. Und nur 27 Prozent verurteilten den Coup der rechten Rebellen gegen eine rot-grüne Minderheitsregierung mit Duldung der Linken.

Der frühere Bundesaußenminister Joschka Fischer (61), von 1985 bis 1987 der erste Landesminister der Grünen überhaupt, befürchtet nun auch nach dem zweiten gescheiterten Anlauf Ypsilantis, in Hessen jenseits von CDU und SPD eine linke Landesregierung zu etablieren, dass es bei diesen Neuwahlen „so richtig reinhauen“ wird – vor allem in den Reihen der SPD. Fischer attestierte Ypsilanti, sie beherrsche das „Einmaleins der Koalitionsbildung“ nicht, weil sie ihren Kontrahenten Jürgen Walter vom rechten Flügel der Partei nicht eingebunden habe, und sprach von einer „fast schon seriellen Täterschaft“. Doch auch die Grünen würden den Unmut der Bevölkerung zu spüren bekommen, glaubt Fischer, weil jetzt „die linke Seite des politischen Spektrums generell“ mit abgestraft werde.

Der Parteirat der SPD tagte am Samstag hinter geschlossenen Türen – kein Laut, keine Diskussion, kein Streit drang nach außen. Dass sie in den letzten neun Monaten gleich zwei Eigentore geschossen habe, räumte Ypsilanti dann in ihrem anschließenden knappen Statement – leicht zerknirscht – immerhin doch ein. Der erste Fehler sei der Ausschluss einer Zusammenarbeit mit der Linken vor der Wahl gewesen; der zweite die „nicht ausreichend vorbereitete Kehrtwende“ hin zur Linken nach der Wahl. Das war dann aber auch schon genug an Selbstkritik. Verzichtet auf die Spitzenkandidatur nämlich habe sie nämlich nur, „weil wir niemandem gönnen, mit der Frage nach Glaubwürdigkeit und Wortbruch in den Wahlkampf zu ziehen und die Themen zu überlagern“. Und was sind die Themen? Es sind die „alten richtigen“, sagt Ypsilanti, „Bildungspolitik, Sozialpolitik, Energiepolitik.“

Und für deren Realisierung werde sie sich auch weiter ins Zeug legen. Sie sei schließlich eine Kämpferin und werfe die Flinte nicht ins Korn. Mit ihrer ganzen Kraft als Partei- und Fraktionschefin werde sie jetzt den neuen Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel unterstützen. Und dann wurde Ypsilanti schon wieder tollkühn: „Wir spielen nicht auf Opposition, sondern auf Sieg.“ „Jetzt erst recht!“, meint auch der Neue trotzig. Die „Y-Lektion“ hat er jedenfalls schon einmal auswendig gelernt. Er zitiert James Bond: „Sag niemals nie!“