Viele bunte Fernseher

Hochkulturanspruch killed the individuelle Aneignungspraxis: Die Ausstellung „Video – 25 Jahre Videoästhetik“ im Düsseldorfer NRW-Forum begehrt die Oberfläche, bleibt dabei aber oberflächlich

VON CLEMENS NIEDENTHAL

1979 war ein bedeutungsvolles Jahr für die Popkulturindustrie. Der Walkman wurde geboren und die Compact Disc erblickte das Licht der Welt. Der Erste war eine mobile Metapher, hineingetragen in die Topografie unseres Alltags. Die Zweite blieb beinahe zwei Jahrzehnte lang ihr erfolgsverwöhntes Leitmedium. Was allerdings den Videoclip an dieses Jahr bindet, vermag die schlicht „Video“ betitelte Ausstellung im NRW-Forum Kultur und Wirtschaft nicht zu klären. „25 Jahre Videoästhetik“ immerhin lautet der Untertitel einer Schau, die die Oberflächen begehrt und sich mit Oberflächlichkeiten zufrieden gibt.

1979 war das Musikfernsehen noch nicht erfunden und die Videokamera – noch schwarzweiß, aber schon von Sony – bereits seit 14 Jahren auf dem Markt. 1979 kostete eine einstündige, wiederbespielbare VHS-Kassette beim Versandhaus Quelle 45 Mark. 1979 sollte ein gewisser Trevor Horn ein Stück Popmusik mit prophetischem Namen aufnehmen: „Video killed the radio star“. Der Song wurde zunächst ein kleiner und zwei Jahre später ein ziemlich großer Hit. Mit dem zugehörigen, von Russell Mulcahy inszenierten Musikvideo zelebrierte MTV 1981 in den USA seinen Sendestart. Der Clip zeigte eine Studioperformance von Trevor Horns Band The Buggles – und eine Unmenge pastellbunter Pappfernseher.

Auch im NRW-Forum Kunst und Wissenschaft am monumental bebauten Düsseldorfer Rheinufer stehen viele Fernseher. Auf hundert streng drapierte Stelen, vor denen man sich die Beine in den Bauch steht, sind Monitore drapiert, über deren Bildschirme hundert exemplarische Musikvideos, Werbeclips und Kunstvideos flimmern. Wobei zumindest Letztgenannte hinter den 37-Zentimeter-Bilddiagonalen eigenartig domestiziert wirken. Sind doch Videokünstler wie die gezeigten Bill Viola, Marina Abramovic und Pipilotti Rist auch angetreten, um die Bedingungen der Medienmoderne zu unterminieren und die von der Unterhaltungsindustrie zur Verfügung gestellten Technologien gegen sie selbst zu wenden.

So war es ausgerechnet der in den Umdeutungslaboratorien der Fluxus-Bewegung beheimatete Nam Jun Paik, der 1965 die bereits erwähnte Sony-Kamera kaufen und nur wenige Wochen später seine erste Videoperformance zeigen sollte. Womit Nam Jun Paik in gewisser Weise die Avantgarde dessen ist, was Sony 33 Jahre später der Welt via globalem Werbeclaim zurufen sollte: „Go create“. Um diesen Slogan weiß wohl auch der Punk-Couture-Wizzard Malcolm McLaren, der die Ausstellungsbesucher von einem hoch auflösenden Plasmamonitor herab mit dem ewigen Andy-Warhol-Mantra begrüßt: „In Zukunft wird jeder für 15 Minuten berühmt sein.“

In der Düsseldorfer Schau aber ist nicht bloß the medium the message. Als einzig möglicher Ort dieser Botschaft wird der private Raum des Fernsehers angeboten. Der Videoclip, egal ob als Medium der Popmusik, der Werbung oder der bildenden Kunst, wird zum ästhetischen Ereignis verkürzt, dem kein soziales Ereignis mehr zu folgen scheint. Beeindruckend seien eben die Zeichen, nicht deren Bedeutungen. Die habe man bei Betreten der Pop-, Verzeihung Postmoderne ohnehin beim Türsteher abgeben müssen. Oder wie es der Kurator Ulf Poschardt beschreibt: Jegliche Form der Bedeutung sei längst transitorisch, sprich: flüchtig geworden.

Kein Wort verliert die Ausstellung derweil darüber, dass ein Musikclip, einmal im Jugendzimmer unter dem Bravo-Starschnitt angekommen, zum Impulsgeber für Alltagsstrategien werden kann. Kein Wort über die Gender Troubles, von denen die Clips von Queen, George Michael oder Le Tigre erzählen. Keines über die moralische Panik, aufgrund deren Falcos „Jeanny“ bald vom Bildschirm verschwunden war. Durch die Videoclips würde „der Konsument der Kulturindustrie zur Kopiermaschine eines fremden Selbst“, schreibt Poschardt ganz richtig. Schade nur, dass es diese Konsumenten nicht bis in die Ausstellung geschafft haben. Es sei denn als Besucher, als der sie wieder das tun, was die Schau selbst verschweigt: Aneignen und Umdeuten, Bricolieren und Identifizieren.

Chris Cunninghams bis weit über die Schmerzgrenze entfremdete Visualisierung von Aphex Twins übersteuertem Elektro-Ungeheuer „Come to daddy“ mag da als Exempel dienen. Die dutzendfach reproduzierte Fratze von Richard D. James (alias Aphex Twin), platziert auf tänzelnden Kinderkörpern und in der Unwirtlichkeit einer britischen Trabantenstadt – im NRW-Forum wird der Clip zu einer bloßen Leistungsschau der digitalen Möglichkeiten verkürzt.

Ein Eindruck, der sich dadurch verdichtet, dass der sehr gut gemachte Ausstellungskatalog (unter anderem mit Texten von Diedrich Diederichsen und Klaus Theweleit) zwar explizit die basisdemokratische Dimension des Mediums Video würdigt, die Schau selbst aber anstelle tatsächlicher Low-Budget-Experimente nur den von Spike Jonze und Roman Coppola inszenierten Fatboy-Slim-Clip „Praise You“ zeigt. Und der ist nun mal eher ein trickreiches Spiel mit der Ästhetik des Improvisierten, ein perfekt simuliertes Schwelgen in verwackelten Do-it- yourself-Gesten. Letztlich aber doch High-Art und eben auch High-Culture.

„Video – 25 Jahre Videoästhetik“, NRW-Forum Kultur und Wirtschaft, Ehrenhof 2, Düsseldorf. Läuft noch bis zum 18. April, Katalog bei Hatje Cantz 15 Euro (im Buchhandel 24,90 Euro)