Real rezitiert

Literatur-Edutainment, das klappt: Am Wochenende war der Rezitator Lutz Görner zu Gast in der Bremer Glocke

Er schnauft, er grölt, torkelt polternd über die Bühne, glotzt mit verschwommenem Blick ins Publikum. Seine Zunge ist schwer, Schweiß glänzt auf seiner Stirn. Im Hintergund untermalt ein träger Blues das Delirium: Lutz Görner spricht Bertolt Brechts „Vorbildliche Bekehrung eines Branntweinhändlers“.

Mit seinem Programm „Brecht – ein Leben in Gedichten“ zeichnete der 58-jährige Kölner Rezitator am Freitag und Samstag in der Glocke die Autobiographie des Dichters nach. Görner, ausgebildeter Schauspieler und Sänger, außerdem Theaterwissenschaftler und Germanist, hat großen Erfolg als Rezitator im deutschen Sprachraum – und das, obwohl er genau das nicht macht, was die Regeln der Rezitations-Kunst vorgeben.

Ginge es nach den Sprachlehrern, müsste sich Görner zum Sprachrohr eines Textes machen, ohne ihm durch schauspielerische Ausdrucksmittel eine eigene Interpretation aufzudrücken. Görner aber unterstreicht seinen Vortrag mit Gestik und Mimik und lässt sich von einer dreiköpfigen Jazz-Band begleiten. Immer wieder gibt er Erläuterungen zu den Gedichten und stellt Bezüge zu den Lebensstationen des Autors her – das alles in betont einfacher Sprache.

Dass er bei seinen Rezitationen zu dick aufträgt, kann man Görner nur bei der „Erinnerung an Marie A.“ zum Vorwurf machen. Die gerät ihm zu dandyhaft, und der schnöselige Ton lässt die Wendung zur früh erahnen. Ansonsten geht Görners Erfolgsrezept auf: statt klassisch bürgerlichem Kunstgenuss bietet er volksnahes Literatur-Edutainment. Nicht immer subtil, aber vital und ausdrucksstark – und damit dem Werk des Dichters sehr nahe. Till Stoppenhagen