Falsch beraten

„Vielen Dank, meine Freunde … Dies ist eine historische Wahl und ich sehe ihre besondere Bedeutung für Afroamerikaner und den besonderen Stolz, den sie heute Abend empfinden müssen. Ich habe immer geglaubt, dass Amerika all jenen eine Chance bietet, die den Ehrgeiz und den Willen haben, diese zu ergreifen. Auch Senator Obama glaubt das. Obwohl die alten Unrechtzeiten lange her sind, die dem Ruf unserer Nation geschadet und einigen Amerikanern den vollen Genuss der Staatsbürgerschaft verwehrt haben, ist uns beiden klar, dass die Erinnerung daran noch immer verletzend sein kann. (…) Amerika heute ist weit entfernt von der Grausamkeit und dem schrecklichen Fanatismus jener Zeit. Es gibt keinen besseren Beweis dafür als die Wahl eines Afroamerikaners zum Präsidenten der USA. (…) Rede McCains am Wahlabend

AUS NEW YORK BETTINA GAUS

Erfolg und Macht sind starke Bindemittel – sie halten die erstaunlichsten Mischungen zusammen. Verlieren sie ihre Kraft, fragt man sich allerdings oft, was die einzelnen Teile eigentlich je miteinander verbunden hat. Vor dieser Situation stehen jetzt die Republikaner in den USA.

Jede Partei muss sich nach einer Wahlniederlage sammeln und neu organisieren. Aber nicht jede Partei wird nach einer Schlappe mit der grundsätzlichen Frage nach ihrer Identität konfrontiert. Die Verlierer dieser US-Wahl schon. Zu Recht. Wer sind eigentlich die Republikaner?

Schwer zu sagen. In einem – faktischen – Zweiparteiensystem mit Mehrheitswahlrecht müssen sich zwangsläufig ganz unterschiedliche Gruppen unter einem gemeinsamen Dach versammeln. Das Dach der Republikaner ist dennoch ungewöhnlich groß. Und es leckt. Zwei Gruppen sind es, die in der Partei den Ton angeben: die Evangelikalen und die Wirtschaftsliberalen. Diese beiden Gruppen haben kaum etwas miteinander gemein.

Der Einfluss der Evangelikalen – also jener Christen, die auf einer wörtlichen Auslegung der Bibel bestehen – ist unter dem noch amtierenden Präsidenten George W. Bush beständig gewachsen. Das Problem: Wenn jemand die eigene politische Überzeugung zur einzig gültigen Interpretation des göttlichen Willens erklärt, dann kommt jede Suche nach einem Kompromiss ziemlich bald an ihr Ende. In der Tagespolitik wird es folglich kompliziert. Wie will man, um nur ein Beispiel zu nennen, über die Grenzen Israels und die besetzten Gebiete verhandeln, wenn Gott dazu in der Bibel alles gesagt hat? Und die Irrtumsfreiheit der Bibel außer Frage steht?

George W. Bush war in den letzten Jahren der mächtigste Vertreter der christlich-fundamentalistischen Bewegung. Den Evangelikalen gefiel es, einen der Ihren im Oval Office zu wissen, das sicherte ihr Votum: 40 Prozent der Stimmen für die Republikaner kamen bei der Präsidentschaftswahl 2004 aus ihren Reihen. Da sich mit Beten alleine jedoch schlecht regieren lässt, zogen in der Realität überaus nüchterne – manche sagen: zynische – Leute im Hintergrund die Fäden. Vizepräsident Dick Cheney beispielsweise und Chefstratege Karl Rove.

Diese beiden und andere waren bereit, Begehrlichkeiten großer Unternehmen zu erfüllen. Die sich – wenigstens in Teilen – mit den Interessen der Wirtschaftsliberalen bei den Republikanern deckten: Senkung der Steuern auf Kapitaleinkünfte, Lockerung staatlicher Kontrollen bei finanziellen Transaktionen, ein Staat, dessen Aufgabe vorwiegend in der Bereitstellung nationaler Sicherheit besteht, also im militärischen Bereich liegt. Nicht hingegen in der Fürsorge für sozial unterprivilegierte Gruppen und schon gar nicht in dem Versuch, den Wohlstand innerhalb der Gesellschaft gerechter zu verteilen.

Der Burgfriede zwischen diesen beiden Gruppen, den Wirtschaftsliberalen und den Evangelikalen, war spätestens mit Ausbruch der Finanzkrise beendet. Ideologisches Chaos regierte. Der „Bail out“, das Rettungspaket der Regierung für bedrohte Unternehmen und Banken, missfiel allen unterhalb der Ebene von Großverdienern und politischen Strategen. Selbst dem noch amtierenden Präsidenten, der es gleichwohl für unvermeidlich erklärte. „Wenn ich pleitegehe, dann hilft mir auch niemand – warum sollen meine Steuergelder Reiche retten, die sich verspekuliert haben?“ Das war die landauf, landab gestellte Grundsatzfrage.

Der „Bail out“ verärgerte republikanische Wähler an allen Fronten, zumal er einem der wenigen Glaubenssätze widerspricht, die noch immer alle Republikaner teilen: dass nämlich das Individuum das Maß aller Dinge und allen staatlichen Handelns ist. Dem jede Chance eingeräumt werden muss, das aber auch das Risiko des Scheiterns alleine trägt. Präsidentschaftskandidat John McCain bekam ein Problem. Bis zum Schluss versuchte er, seine – alte – Forderung nach weiterer Deregulierung mit seiner – neuen – Forderung nach intensiver Kontrolle der Börse zu versöhnen. Das musste schiefgehen.

Zu welcher Gruppe innerhalb der republikanischen Partei gehört nun eigentlich John McCain? Er gehörte zu gar keiner Gruppe. Das war der Charme und das Risiko seiner Nominierung. Seine Vergangenheit als Kriegsgefangener in Vietnam und seine unbestreitbare und unbestrittene Tapferkeit in diesem Zusammenhang gab Leuten den patriotischen Stolz zurück, der von George W. Bush beschädigt worden ist. Einerseits.

Andererseits: John McCain wurde ja nicht zu Unrecht als „Maverick“, als Querdenker, bezeichnet. Er stimmte gegen die Steuersenkungen für Reiche, die von George W. Bush durchgedrückt wurden, er stritt für Sozialprogramme und für eine liberale Einwanderungspolitik. Und: Er ist ganz gewiss kein Evangelikaler. Dem Vernehmen nach hat er vor einigen Jahren monatelang – durchaus ernsthaft – über einen Wechsel zu den Demokraten verhandelt. Innerhalb der republikanischen Partei gilt John McCain als „Reformer“. Das ist ein wunderbares Wort, hinter dem sich alles und nichts verbergen kann.

Zu Beginn der heißen Wahlkampfphase schien es das größte Problem McCains zu sein, die Anhänger der Republikaner zum Wählen zu bewegen. Es gibt glaubhafte Hinweise darauf, dass er am liebsten den Demokraten Joe Lieberman – einen Befürworter des Irakkrieges und eines starken Militärs, aber zugleich ein Anhänger der Liberalisierung von Abtreibung und Schwulenrechten – als seinen Stellvertreter nominiert hätte.

Die Reaktion: offenbar Panik in den Reihen der republikanischen Wahlstrategen. In diesem Fall, so die Befürchtung, würde es unmöglich, die Stimmen der Evangelikalen einzusammeln.

Also wurde Sarah Palin nominiert. Die religiöse fünffache Mutter. In Europa und im liberalen Teil der USA gilt sie als Witzfigur. Im Großteil des ländlichen Amerika wird sie hingegen für „authentisch“ gehalten, für „eine von uns“. Manches spricht dafür, dass sie weder das eine noch das andere ist. „Sarah hat die Geschichte von Sarah sehr bewusst inszeniert. Die Hockey-Mama und ‚Frau Palin geht nach Washington‘“ – das habe sie geschickt in Szene gesetzt, zitiert das Magazin The New Yorker ihren ehemaligen Wahlkampfberater John Bittney. Übersetzt heißt das: Sie steht in einer langen Reihe von Leuten, die sich evangelikal geben, ohne es zu sein.

John McCain gehörte zu keiner Gruppe in der Partei. Das war der Charme und das Risiko seiner Nominierung

Wird diese sehr spezielle Form der Intelligenz auch nach der Niederlage genügen, um eine tragende Rolle innerhalb der republikanischen Partei zu spielen? Abwarten. Kaum etwas anderes lässt sich vergleichbar schwer vorhersehen wie die Antwort auf die Frage, wer künftig in der GOP – der „großartigen alten Partei“ – die Strippen ziehen wird. John McCain hat im Wahlkampf nach anfänglichem Zögern auf die alte Garde von George W. Bush gesetzt, vor allem auf Karl C. Rove. Offenkundig hat er dem Charisma der eigenen Person nicht genug vertraut – und dafür seine Seele verkauft. Die Einflüsterungen von Rove und seinen Leuten führten dazu, dass man nun gar nicht mehr wusste, wen man wählte, wenn man John McCain wählte. Den alten? Den neuen? Einen dritten?

Die Republikaner blicken auf eine lange Straße von Triumphen zurück und können von sich mit Recht behaupten, die USA in der Geschichte oft in die richtige Richtung gelenkt zu haben. Abraham Lincoln, der die Sklaverei abschaffte, war ein Republikaner. Ebenso Theodore – Teddy – Roosevelt, der die Rechte der Arbeitnehmer stärkte und für eine stärkere staatliche Kontrolle der Wirtschaft kämpfte.

Es ist zu früh, um präzise vorherzusagen, entlang welcher Linien die Flügelkämpfe der nächsten Zeit verlaufen werden – und wer gestärkt daraus hervorgeht. Sarah Palin? Oder wirkt Arnold Schwarzenegger – der nicht Präsident werden kann, weil er nicht in den USA geboren ist – künftig als Drahtzieher im Hintergrund? Bekommt der selbstironische Baptist Mike Huckabee, der beim Vorwahlkampf überraschend erfolgreich war, eine zweite Chance? Wird die Finanzkrise dramatisch genug, um die Anhänger der Republikaner über die Tatsache hinwegsehen zu lassen, dass der Wirtschaftsfachmann Mitt Romney ein Mormone ist? Lässt sich der angesehene General David Petraeus zu einer politischen Karriere verleiten? Oder wird Bobby Jindal, der junge Gouverneur von Louisiana und ein Senkrechtstarter wie seinerzeit Barack Obama, zum neuen Hoffnungsträger?

Viel Zeit haben die Republikaner nicht, um Antworten auf diese Fragen zu finden. Der Kampf um die nächste Nominierung des Präsidentschaftskandidaten beginnt in zwei Jahren.

John McCain wird dann zu alt sein, um ein weiteres Mal die Hand nach dem höchsten Staatsamt auszustrecken. Als er am Dienstagabend in Phoenix, Arizona, seine Niederlage eingestand, da war ihm anzumerken, dass er das weiß. McCain räumte ein, enttäuscht zu sein. Aber da oben auf dem Podium schien Enttäuschung nicht das einzige Gefühl zu sein, das ihn beherrschte. War da nicht sogar etwas zu spüren wie – Erleichterung? Jedenfalls war er zum ersten Mal seit vielen Wochen wieder der McCain, der sich jahrelang über Parteigrenzen hinweg in den USA großen Respekt erworben hat. Und nicht der Kandidat, der von anderen gelenkt und geschoben wurde. Er wenigstens ist Karl Rove nun los. Ob das dauerhaft auch für seine Landsleute gilt, muss sich erst noch zeigen.