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: Vorm Fernseher in Baltimore

Wenn man den Wahlforschern glauben konnte, wird dieser Abend vor dem Fernseher wenig Spannung bieten. Zu klar lag Barack Obama in den Umfragen vorne. Aber auf Umfragen ist ja nicht unbedingt Verlass, und so setzten wir uns doch mit Spannung vor den Fernseher: sechs Amerikaner, vier Deutsche und ein Italiener, allesamt Obama-Anhänger, wie auch die meisten unserer Nachbarn in Baltimore, im Bundesstaat Maryland an der amerikanischen Ostküste.

Um 19 Uhr: die ersten Prognosen. In Vermont gewinnen die Demokraten, in Kentucky die Republikaner. Keine Überraschungen also, aber McCain führt mit 8 zu 3 Wahlleuten. Jason meint, seine religiöse Tante würde wohl zu Hause sitzen und frohlocken, denn für sie stehe Obama dem Satan nahe: „Das muss sie in ihrer Kirche gehört haben. Ich liebe sie trotzdem, aber zu Wahlkampfzeiten ist es hart.“

Kurz nach 20 Uhr: Der Sender CBS gibt bekannt, dass Obama in Pennsylvania gewonnen hat. Das ist ein wichtiger Sieg für Obama – und für längere Zeit die einzige interessante Nachricht. Das Fernsehen zeigt Bilder von Obamas Familie und wir können uns nicht einigen, ob Michelle Obama oder Cindy McCain attraktiver ist. Jason beendet die Diskussion mit einer kleinen Sarah-Palin-Parodie: „Ich würde diese Frage vermeiden und über Jesus reden!“ Gegen 21.30 erklärt CBS Obama in Ohio zum Sieger. Der Heimatstaat von „Joe dem Klempner“.

Das Fernsehen zeigt immer wieder lange Schlangen vor den Wahllokalen. Drei meiner Freunde haben am Morgen in Baltimore ihre Stimme abgegeben, keiner musste lange anstehen. Dominic hat in Colorado gewählt, obwohl er seit drei Jahren in Maryland wohnt: „Ich habe meine Registrierung in Colorado gelassen, weil es ein Swing State ist. Es ist sinnvoller, wenn ich dort die Demokraten wähle, denn in Maryland gewinnen die ja ohnehin.“ In der Tat bleibt Colorado in den Grafiken lange weiß, während andere Staaten in ein republikanisches Rot oder ein demokratisches Blau gefärbt werden.

Um 22.45 Uhr leuchtet auch der umkämpfte Staat Virginia blau. Damit ist Obamas Wahlsieg im Grunde eine sichere Sache. Dennoch sind wir ein bisschen überrumpelt, als die Sender wenige Sekunden nach Schließung der Wahllokale an der Westküste um 23 Uhr bekannt geben, dass Obama der nächste Präsident der USA wird. Das Fernsehen zeigt jubelnde und weinende Menschen im Grant Park von Chicago.

Gegen Mitternacht beginnt Obama dort seine Siegesrede. Francesco sieht im Internet nach, ob die Börsen in Asien schon etwas von diesem Wandel mitbekommen haben. Dominic denkt weiter voraus: „Obama muss jetzt so viele schwierige Sachen anpacken, das wird ihn unweigerlich unpopulär machen. Aber jetzt können wir ja anfangen, ihn zu kritisieren.“ BIANCA SCHRÖDER