Das Grauen aß mit

Geteert und gezetert: Heute verlässt der „Witzigmann Palazzo“ völlig zu Recht die Stadt

Das Grauen hatte viele Gesichter. Es spielte Kontrabass auf einem lang gezogenen Luftballon, polierte mit einem Staubtuch die Glatze des Tischnachbarn, und immer dann, wenn man sich in Sicherheit wähnte, stand es plötzlich wieder am Tisch. Gerade noch wollte man die Gabel heben, da brach es erneut über einen herein; grimmig dreinschauend; mit Zahnstocher im Mund; die Daumen am Hosenträger eingehakt. Wie die Karikatur eines Stummfilmgangsters zu Prohibitionszeiten stand es da und starrt einen an, eine Minute, zwei Minuten, vielleicht auch länger. Das Grauen hatte alle Zeit der Welt; der Abend war lang, die Vorspeisen waren kalt. Was hatten wir gelacht; über all die Fußgängerzonenkleinkünstler, die so lange ihren Schabernack trieben, bis auch das letzte Gespräch der Essenden versandet, der letzte klare Gedanke verworfen war.

Nun hat das Grauen ein Ende: Eckart Witzigmann verlässt die Stadt. Frühzeitig, einen knappen Monat vor Ende der regulären Spielzeit seines „völlig verrückten Restaurant-Theaters“, überlässt er das nicht allzu weite Feld der Berliner Erlebnisgastronomie wieder seinem ehemaligen Schüler Hans-Peter Wodarz, von dessen „Pomp, Duck and Circumstances“ er seinen „Witzigmann Palazzo“ eins zu eins abgekupfert hatte.

Zu wenige Berliner waren bereit, allein 119 Euro für vier Gänge zu bezahlen, deren Qualität die eines Lufthansa-Business-Class-Menüs kaum übertraf. Da konnte die Drag Queen, die mit schlüpfrigen Witzen durch den Abend führte, noch so sehr „die berühmteste von New York sein“, der gemeine Berliner blieb zu Hause und ließ sich in seiner konzertierten Ablehnung nicht mal durch Berichte verunsichern, nach denen in anderen Städten wie München und Düsseldorf der „Palazzo“ nicht weniger als das Gesellschaftsereignis der Saison war.

Selbst Klaus Wowereit stand auf verlorenem Posten: Seine Prognose, der „Palazzo“ werde gerade in Berlin ein voller Erfolg werden, verband er kurz vor der Premiere mit der dringenden Bitte an alle, nun endlich das Klischee zu entkräften, nach dem der Berliner an sich ein eher bodenständiger Typus sei, der nicht allzu viel Wert auf „kulinarischen Hochgenuss“ lege.

Dabei lässt Witzigmanns Scheitern durchaus nicht den Schluss zu, Berlin sei weiterhin kulinarisches Brachland. Vielmehr demonstriert es nur einmal mehr, dass in Berlin auch nach dem Regierungsumzug immer noch relativ wenige reiche Menschen mit ausgesucht schlechtem Geschmack wohnen.

Zu bedauern sind allein seine freundlichen Servicekräfte, die sich bis zur Selbstverleugnung mit dem „kulinarisch-komödiantischen Potpourri der Extraklasse“ zu identifizieren schienen. Ein verfrühter Abgang, noch vor dem Dessert? Bitte nicht, hieß es gleich, den Tränen nahe: „Das Beste kommt noch; Delice aus Schokolade und Cappuccino mit eingelegten Bananen und Kokos-Ananas-Eis, als Garnitur eine gewellte Hippenstreife an der Mousse, von der Harlekin-Trapez-Nummer ganz zu schweigen.“ Es wir schwer sein für sie: Der Vorhang zu und keine Fragen offen. CORNELIUS TITTEL