Hoffnung auf das Golfkriegssyndrom

Im Vietnamkrieg setzten sich US-Soldaten gegen ihre Befehlshaber zur Wehr. Eine Dokumentation erinnert daran

Es begann 1960 mit 400 amerikanischen „Beratern“, die nach Südvietnam geschickt wurden. Sieben Jahre später befand sich bereits eine halbe Million amerikanischer Soldaten in Vietnam; Entlaubungsmittel, Napalm und Bomben jeder Art wurden flächendeckend über dem Land abgeworfen. Das Ziel der USA: die Hegemonie gegenüber dem „Kommunismus“ zu sichern – und zwar in ein bis zwei Jahren. Im Laufe der nächsten 14 Jahre erlitten die Amerikaner eine so blutige Niederlage, dass die Machthaber in Washington bis zum ersten Krieg gegen Saddam traumatisiert waren.

Doch sie verloren den Krieg im Fernen Osten nicht nur gegen die Vietnamesen und die internationale Antikriegsbewegung. Auch die eigenen GIs erkannten bald: Sie sollten in einen grausamen Krieg für eine Politik kämpfen, hinter der sie nicht standen. Das Gefühl der schwarzen Soldaten formulierte Black Panther Stokeley Carmichael: „Weiße Menschen schicken schwarze Menschen gegen gelbe Menschen in den Krieg, um das Land zu verteidigen, das sie den roten Menschen gestohlen haben.“

Um den „Widerstand in der US-Armee“ geht es jetzt in den Aufsätzen, Interviews und Erinnerungen, die Dieter Brünn herausgegeben hat. Sie berichten von Aktionen und Organisationsformen revoltierender Soldaten in einer Armee, die, so ein Pentagon-Offizier 1971, „kurz vor dem Zusammenbruch“ stand.

Ganze Einheiten verweigerten offen den Einsatz und betäubten sich mit Drogen. GIs begannen einzelne Offiziere durch fragmentation granades umzubringen. Ron Mounce von der Alpha-Kompanie erzählt über die Ermordung eines „richtigen Schweinehunds“: „Ein paar Kameraden rotteten sich zusammen und warfen etwa drei Handgranaten in den Unterstand, in dem er saß … Alle waren dafür.“ Schätzungsweise 1.000 Offiziere kamen so ums Leben.

Zehntausende Soldaten desertierten, vor allem die jungen Männer aus der Arbeiterklasse, die sich freiwillig zur Armee gemeldet hatten. Die Militärhaftanstalten waren überfüllt. Wie das Buch zeigt, war der Protest nicht nur eine spontane Verweigerung. An der Front, auf den Kriegsschiffen und Stützpunkten entstand ein weltweites Netz des Widerstands.

In Europa wurde eine „Untergrundbahn“ organisiert. In Amsterdam halfen die Provos, antiautoritäre jugendliche Kriegsgegner, den US-Soldaten unterzutauchen. Auf Flugblättern kursierte die Botschaft: IN A’DAM (NL) UGO 2 PROVOS – bist du in Amsterdam, Niederlande, geh zu den Provos.

In Deutschland begannen Studenten des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds, GIs über die Pfälzer Hügel direkt nach Frankreich zu schleusen. Und schließlich wieder zurück, als sich viele Soldaten entschieden, den Widerstand von innen zu organisieren: Resist inside the army!, hieß es dann. RITA’s ACT wurde die erste Soldatenzeitung in Europa, unzählige folgten, mit Auflagen von bis zu 20.000 Exemplaren.

Die erste Ausgabe des Buchs kam 1986 heraus. Die Neuauflage erscheint nun, ergänzt um Texte zum zweiten Golfkrieg 1991, dem größten US-Truppenaufmarsch seit Vietnam. Dass die USA damals ihre Soldaten nicht nach Bagdad marschieren ließen, bekannte General Powell, war immer noch eine Folge des „Vietnamsyndroms“.

Bis heute sind Vietnamveteranen aktiv. Im Anhang des Buches finden sich Adressen ihrer Organisationen. Das Archiv Soldatenrechte beim Harald Kater Verlag verfügt über zahlreiche GI-Zeitungen und Materialien zur Selbstorganisation von Soldaten – in der Hoffnung auf ein künftiges „Golfkriegssyndrom“.

ROSEMARIE NÜNNING

Dieter Brünn (Hg.): „Widerstand in der US-Armee. Vom Krieg in Vietnam bis zum Golf …“, 236 Seiten, Harald Kater Verlag, Berlin 2003, 14 €