Polizei vermasselt Kunstklausur

Auch den zweiten Bremer Totalverweigerer hat die Polizei jetzt zur Zwangsmusterung vorgeführt. Weil der Abiturient sich stur stellte, wurde er von der Polizei in Handschellen aus der Schule getragen. Jetzt droht der Disziplinararrest

taz ■ Die Polizei kam in der zweiten Stunde. Jannes von Bestenbostel brütete gestern Morgen über seiner Kunstklausur, als die Lehrerin ihn darauf aufmerksam machte, dass er Besuch habe: „Die Polizei steht schon vor der Tür.“ Seit über einem Monat wartete der Abiturient auf diesen Moment, in dem die Polizei auftauchen würde, um ihn dort hinzubringen, wo er auf keinen Fall hin will: zur Musterung ins Kreiswehrersatzamt. Gemeinsam mit drei Freunden will der 19-Jährige sowohl den Wehrdienst als auch den Zivildienst verweigern (die taz berichtete).

Einer seiner Mitstreiter wurde bereits vor drei Wochen vorgeführt, gestern war Jannes von Bestenbostel dran. Anfangs seien die beiden Beamten auch noch recht freundlich gewesen, bis sie wohl begriffen, dass von Bestenbostel überhaupt nicht daran dachte mitzukommen. Auch nicht, nachdem sie ihm Handschellen angelegt und klargemacht hatten, dass er mit Gewalt rechnen müsse. Jannes von Bestenbostel kennt die Prozedur von Castor-Transporten und setzte sich erst mal hin.

Daraufhin schleppten ihn die Polizisten die Treppe hinunter, begleitet von jeder Menge seiner MitschülerInnen, die die ungewöhnliche Schulszene fotografierten. „Kamera weg“, habe der Polizist verlangt und zur Verstärkung zwei weitere Wagen angefordert, während von Bestenbostels StufenkollegInnen mit einem Transparent gegen seinen Abtransport protestierten. Erfolglos.

Um halb zehn habe man ihn wie bestellt beim Kreiswehrersatzamt abgeliefert, erzählt von Bestenbostel, der erleichtert ist, dass das wochenlange Versteckspiel jetzt vorbei ist. Seit über einem Monat hat er nicht mehr bei seinen Eltern geschlafen. „Ich saß schon die ganze Zeit im Unterricht und dachte, jetzt kommen sie gleich.“ Überhaupt habe er kaum noch Zeit für andere Dinge, weil er zum Beispiel so viel Zeit darauf verwenden muss, mit seinem Anwalt die nächsten Schritte zu besprechen. So läuft derzeit auch ein Bußgeldverfahren, weil er sich nicht beim Kreiswehrersatzamt gemeldet hatte. „Das nervt schon manchmal“, sagt von Bestenbostel. Zumal er das Schlimmste noch vor sich hat: Nachdem er jetzt nach Augenschein für tauglich gemustert wurde, könnte er schon im Sommer eingezogen werden. Wenn er dort den Dienst verweigert, muss er davon ausgehen, dass er in Disziplinararrest gesteckt wird, möglicherweise sogar bis zu sechs Wochen. Anschließend könnte ein Strafverfahren auf ihn warten.

Dennoch will er sein Vorhaben durchziehen. Auch der Zivildienst ist für ihn keine Alternative. „Das ist ein fauler Kompromiss, denn Zivildienst und Militärdienst sind zwei Seiten einer Medaille.“ Auch den häufig betonten positiven Aspekten des Zivildienstes – dass junge Männer dabei soziale Verantwortung lernen würden – kann er nichts abgewinnen. „Wenn das Geld, das für die Zivis ausgegeben wird, direkt in die Einrichtungen fließen würden, dann könnten die qualifizierte Arbeitskräfte einstellen, die nicht alle neun Monate wechseln.“

Im letzten Jahr haben nach Angaben der Zentralstelle für Kriegsdienstverweigerer in Bremen 190.000 Männer den Wehrdienst verweigert und einen Antrag auf Zivildienst gestellt. Das sind fast 40 Prozent aller Wehrpflichtigen. Über Totalverweigerer gibt es keine genauen Zahlen. Schätzungen gehen von 100 bis 200 Fällen pro Jahr aus.

Eiken Bruhn

Info-Treffen über Totalverweigerung am 21.3., 19 Uhr, im GSV-Gebäude, Schmidtstraße 10