Daddel-TV per SMS

Nachts verwandelt sich der Kinderkanal SuperRTL in einen interaktiven Sender, dann wird die Welt gerettet – mit einem lukrativen Videospiel

VON TOBIAS MOORSTEDT

Es ist 3.41 Uhr. Jargo verlässt die Erdumlaufbahn, auf dem Bildschirm sieht er sein Geschwader ausschwärmen, blaue Dreiecke auf dem Weg ins All. Bald tauchen auch rote Dreiecke auf dem Schirm auf. Der Feind. Bereit zum Feuern. Zielkoordinaten 13 auf 50. Der Gegenspieler ist schneller. Eine Explosion. Jargos Raumschiff ist zerstört, er ist zurück im Wohnzimmer und wartet auf das nächste Spiel.

Telefon statt Joystick

Anders als im erbärmlichen TV-Spätprogramm kann man hier Plots umschreiben, einen Charakter löschen, selbst eingreifen. Seit kurzem ist das möglich. Ein bisschen zumindest. Auf dem Sender SuperRTL kann man seit ein paar Wochen spät in der Nacht Videospiele spielen, ohne Joystick zwar noch: Die Spielfiguren werden durch SMS gelenkt.

Das TV-Videospiel funktioniert wie der Klassiker „Space Invaders“ vor 20 Jahren und richtet sich die Atari-Generation, die daran gewohnt ist, sich elektronisch zu artikulieren und sich ständig mit Passwörtern, Kundenkarten und Nicknames in wechselnde Netzwerke einzuloggen. Die Mitspieler steuern kleine Raumschiff-Icons im den Fernseher. Grafik, Auflösung und Farbgebung entsprechen einem zeitgenössischen Mobilfunkdisplay. Etwa 40 Raumschiffchen flitzen über den Bildschirm – ein Durcheinander wie auf dem Börsenkanal. Ein Spiel dauert drei Minuten, zu Beginn steht da in gelber „Star Wars“-Schrift: „Wir haben nur diese eine Erde. Sende eine SMS und rette deine Freunde und dich“. Die Welt zu retten, das ist ein teueres Vergnügen: 49 Cent kostet eine SMS, eine Rakete.

Auf dem SuperRTL-Battleship sind an diesem Abend ein paar hundert Kämpfer angetreten. Die Quote ist egal, der „Return of Investement“ erfolgt per Telefon, das auf denkbar einfachste Weise das Versprechen des digitalen Fernsehens einlöst. Das Mobiltelefon wird zur verlängerten, interaktiven Fernbedienung.

Flirt mit dem Rechner

Jargo sitzt vor dem Fernseher, da ist kein Moderator, kein Mensch, der ihn ablenkt. „Der Bildschirm wird zur Spielfläche“, heißt es beim Sender, „die Zukunft hat begonnen.“ Eine merkwürdige Interaktion ist das, mit dem Fernseher selbst, einem anonymen Zentralrechner ohne Charme und Sexappeal.

Dortmund, Wolfsburg, Jena. Verstreut im ganzen Land versucht das blaue Team den Planeten zu retten. Auch untereinander kommunizieren die Helden per SMS: „Kommt Jungs, wir schaffen das“, schreibt ein Spieler namens Dämon. Zusammenhänge erkennt nur der Akteur, nicht der Zuschauer. Textauszüge: „???“ „Guten Morgen.“ „Yeah, whatever.“ „Treffer!“ „Hilfe?“ „Wenigstens brauchen die SMS heute nicht so lange.“ Im Bildschirmkeller liest der Spieler: „Die Zeitungen berichten daheim von deinen Erfolgen.“ Und: „Schicke eine SMS und werde4-Sterne-General.“

Virtuelles Konfetti

Sozialprestige lässt sich für eine bestimmte Zielgruppe eben nur noch virtuell gewinnen. Das ist der Reiz: die Ich-Perspektive. Koordinaten 36 auf 24, schon fliegt die Rakete, kostet nur 49 Cent. Freiheit, wie sie sich heute darstellt. Am Ende der Nacht wird der „beste Kämpfer“ gekürt und gefeiert. Eine virtuelle Konfettiparade für Jargo. Der Sieger sitzt daheim auf dem Sofa, allein, endlich im Fernsehen.