ausgehen und rumstehen
: Kunst mit dräuend auswabernder Wolkenfront

Lustig. Gerade hat die Kunst die Musik als Schrittmacher-Kultur abgelöst, da umarmt sie die Musik so inniglich wie lange nicht. Die Art-Forum-Woche klingelt einem gewaltig in den Ohren. Die Temporäre Kunsthalle Berlin (Wein und warme Häppchen aufs Haus) hält es für angezeigt, mit drei Video-Arbeiten von Candice Breitz zu eröffnen. Man sieht Fans, die Stücke von Michael Jackson, John Lennon und Madonna nachsingen. Julian Goethe zeigt in der Galerie Daniel Buchholz (Wein und Suppe aufs Haus) Skulpturen, die auch schon in seiner Zeichnung für das Plattencover der Band Dominique (bei der der Künstler und Kunstkritiker Dominic Eichler den Ton angibt) auftauchten. Der schillerndste Star fürs breite Publikum ist Malcolm McLaren, der mit seinen Videos „Shallow 1-21“ bei ScheiblerMitte (Wein aufs Haus) den „Sound of Fashion“ und die „Fashion of Sound“ auf ihre Erotik hin auslotet.

Den Vogel schießt die Galerie Krome (Bier und Pizza aufs Haus) ab, die das Kunstvolk ins Café Palermo lädt und nichts weiter bietet als ein Konzert. „A Mountain of One“ war als Akustik-Solo-Set angekündigt. Gerne hätte ich gehört, wie der Himmelstürmer des 70er-Progrock-Revivals Mo Morris ohne das ganze psychedelische Brimborium alleine mit Gitarre klingt. Aber ich hatte Pech. Morris trat mit Band auf, und mein schlechter Stern stieg noch höher.

Hat jemand „Arc of Abraham“ gehört? Diese über sechseinhalb Minuten dräuend auswabernde Wolkenfront, die in einem Richard-Clayderman-Refrain aufreißt? Das übertrifft den Space-Kitsch von Pink Floyds „Breathe“ (auf dem Album „The Dark Side of the Moon“ mit Artwork von der legendären englischen Grafikschmiede „Hipgnosis“). Überhaupt gibt es nur wenige Stücke, die aus dem absoluten Keller-Feeling mit einem Gongschlag (bildlich gesprochen, meistens wechselt einfach die Tonart, von Moll zu Dur natürlich, oder es kommen Streicher dazu) in den siebten Himmel aufsteigen. Bei Disco passiert das öfter. Das ist ja auch das Feld für emotional leicht entzündliche Menschen, die jeden radikalen Kurswechsel bejubeln. „Don’t stop the music“ von Yarbrough & Peoples ist so ein Discostück (der Künstler des Schallplatten-Covers bleibt leider anonym, aber die Platte hat es immer verdient, mit einer gefütterten Innenhülle geschützt zu werden), nie wieder wurden Helium-Stimmen so melodramatisch eingesetzt, oder „I hear music in the streets“ von Unlimited Touch (auch kein Cover-Künstler angegeben).

Aber „A Mountain of One“ ist keine Disco, da gibt’s keine Claps zur Orientierung. Das hätte einen in der Akustik-Version in der musikalischen Wüste ausgesetzt. Man wartet verzweifelt auf die Refrain-Oase, ohne sich sicher zu sein, ob sie sich nicht als Fatamorgana entpuppt. Das höchste der Gefühle wäre ein Duoauftritt von Mo Morris und dem Komponisten und Sänger von Talk Talk, Mark Hollis. Der hat mit dem Album „Spirit of Eden“ (Cover-Künstler James Marsh) die ausgewalzt dekonstruierte Artschool-Blues-Dramatik von „A Mountain of One“ vorweggenommen.

„Hör auf, so’ne langweilige Krümelkacke zu erzählen“, brüllt mir Tanja in ihrem grauen Flanellkostüm ins Ohr. Ich ramme meine Fäuste tiefer in die Taschen meiner blauverwaschenen Jogginghose. Pöh, man kann nie genug über Musik wissen. Auch und erst recht nicht als Kunstinteressierter. Ich weiß das. Ich habe auf dem Schöneberger Flohmarkt die EP „The Icecreamchopsticks“ von Jonathan Meese und Tim Berresheim gefunden. In gelbem Vinyl. „Dann bleibt doch alle bei eurem schmalem Horizont und lasst euch in eurer Mickrigkeit nicht stören“, seufze ich in Anlehnung an den Titel der „Icecreamchopsticks“ (Cover-Künstler nicht angegeben).JAN JOSWIG