Der gefährliche Schluck aus der Pulle

Die Tennisspieler bei den Australian Open zeigen sich angesichts der Dopingfälle der letzten Zeit verunsichert darüber, welche Getränke oder Medikamente sie verwenden können. Die ATP soll helfen, wirkt aber selbst recht hilflos

MELBOURNE taz ■ Das Wasser in den Flaschen der Spieler hat selten die Farbe eines Wassers, das frisch aus der Quelle kommt. Es ist hellblau, rosé oder zitronengelb – ganz so wie jenes bunte Zeug, das in jedem Supermarkt angeboten wird und den Leuten suggerieren soll, es brächte verbrauchte Energie sofort zurück. Aber ist bunt heutzutage in diesem Geschäft noch sicher? Wo doch als Tatsache angenommen wird, dass sich die unzulässig erhöhten Nandrolon-Werte in den Dopingproben von sieben Tennisprofis aus den beiden vergangenen Jahren auf verunreinigte Nahrungsergänzungsmittel zurückführen lassen, die den Spielern ausgerechnet von Physiotherapeuten der ATP verabreicht worden waren? Eine Interpretation, wie sie auch der des Dopings bezichtigte Brite Greg Rusedski gern auf seinen aktuelleren Fall angewandt sähe.

Der Spanier Albert Costa hat dieser Tage berichtet, unter den Spielern herrsche gewaltige Unsicherheit, was man überhaupt noch einnehmen und trinken dürfe, um dem Körper beim Ausgleich der Verluste während und nach der schweißtreibenden Arbeit zu helfen. „Mir macht diese Situation Angst“, sagt er, „dass man weder Elektrolyte noch sonst was trinken kann.“ Nicht mal mehr die Einnahme von Vitamin C oder Magnesium traue er sich noch – dabei habe ihm ein Arzt erst vor kurzem wegen niedriger Eisenwerte im Blut dringend empfohlen, dieselben auszugleichen.

Der Australier Todd Woodbridge findet, die ATP – Veranstalter der Männertour außerhalb der Grand-Slam-Turniere und des Davis Cups – müsse den Spielern schnellstens eine Liste mit erlaubten Energiedrinks und Nahrungsergänzungsmitteln an die Hand geben. „So wie es jetzt ist, gibt es kein einziges Produkt, bei dem ein Spieler sicher sein kann, nach der Einnahme nicht bei einem Dopingtest durchzufallen.“

Man erinnert sich dunkel, dass es früher Tennisspieler, Sportler generell, gegeben haben soll, die Mineralwasser pur getrunken haben, vielleicht mal versetzt mit Salz, und die auch nicht von Krämpfen gefällt wurden. Allerdings zu einer Zeit, in der es für den Sieger der Australian Open noch nicht umgerechnet 735.000 Euro zu gewinnen gab. Aber aus der Zeit vor dem klaren Wasser gibt es auch die überlieferten Geschichten der französischen Diva Suzanne Lenglen, die während der Seitenwechsel zur Aktivierung der Lebensgeister schon mal ein Schlückchen Cognac aus einem silbernen Flachmann genippt haben soll.

Offensichtlich endet die Geschichte inzwischen nicht mehr bei der Frage, was man essen und trinken darf. Andre Agassi sagt, die Spieler müssten mit allem unglaublich vorsichtig sein, und doch ändere das nichts an gewissen Verdächtigungen. Ein Beispiel: Vor ein paar Tagen habe er wegen einer von der Sonne verursachten Schwellung auf dem rechten Handrücken eine spezielle Creme benutzen wollen. Er habe dafür drei Seiten Formulare ausfüllen und per Fax versenden müssen, nur um sich diese Behandlung genehmigen zu lassen.

„So sieht die Realität im Leben eines Tennisspielers mittlerweile aus. Nichts ist mehr erlaubt, nichts wird mehr toleriert. Dennoch wachen wir jeden Morgen auf und lesen Schlagzeilen, dass unserem Sport die Fähigkeit fehlt, mit Dopingbetrug umzugehen. Das passt nicht zusammen. Entweder ich muss mir keine Gedanken machen über die Creme auf meiner Hand, dann gibt es sicher ein Potenzial für Missbrauch und Betrug; oder ich muss mich um die Creme kümmern, aber dann hätte ich dafür auch gern den Respekt, dass es die richtige Art ist, wie wir mit unserem Sport umgehen.“

Er ließ offen, ob er diese Beschwerde an die Öffentlichkeit richtet oder an die ATP, die mit ihrem nebulösen Kurs in den vergangenen Jahren in nahezu allen nachgewiesenen oder vermuteten Dopingfällen viel zur Verunsicherung beigetragen hat. Bis auf weiteres kursiert das Thema in Gängen, Umkleidekabinen, in den Führungsgremien der ATP, die schwer nervös geworden ist, bei Physiotherapeuten, Spielern, Trainern, Presse, Rundfunk, Fernsehen. Also schlichtweg überall. Bloß draußen auf der Anlage im Melbourne Park spielt es keine Rolle. Da sitzen die Fans in der Sonne, schmieren die Creme ihres Vertrauens und trinken aus Plastikbechern Bier. DORIS HENKEL