„Der größte Fehler Warschaus“

Der polnische Journalist Adam Michnik über die Probleme mit dem EU-Referendum

BERLIN taz ■ Wenn es um Vergangenheit und Zukunft der EU geht, dann ist Adam Michnik durchaus positiv gestimmt. Zu Zeiten des Totalitarismus habe Europa für die Polen Vielfalt und Toleranz bedeutet und sein sechzehnjähriger Sohn werde wohl einmal ein europäischer Förderalist sein, sagte der ehemalige Dissident und heutige Chefredakteur der Gazeta Wyborcza bei einer Veranstaltung des Europäischen Forums Mitte dieser Woche in Berlin.

Doch wenn er auf die Gegenwart der EU zu sprechen kommt, wird Michnik pessimistisch. Die Entscheidung, die Polen in einem Referendum über den Beitritt abstimmen zu lassen, hält er für den „wohl größten Fehler Warschaus in den letzten 14 Jahren“. Schließlich habe sein Land bereits in zwei Bereichen mit Westeuropa gleichgezogen: bei der Korruption und bei den Populisten. Die seien in Polen mindestens so gut wie Jörg Haider.

Die Zustimmung zu einem EU-Beitritt liegt in Polen derzeit bei immerhin sechzig Prozent. Dennoch hält es der Journalist nicht gerade für einfach, gegen die EU-Skeptiker anzutreten und aktiv für einen Beitritt zu werben. „Wir werden dies aber dennoch tun.“ Nicht erleichtert hat die Situation auch Jacques Chirac. Auf ihn ist der 56-jährige Historiker, der sich sonst gern als Liebhaber der französischen Kultur präsentiert, alles andere als gut zu sprechen. Als der Präsident versuchte, die Kandidaten beim EU-Gipfel zum Irak zum Schweigen zu verdonnern, „verhielt er sich wie ein Politiker, der für Polen einfach nicht die richtige Sprache findet“. Wofür Michnik weitere Beispiele hat. So habe Chirac ausgerechnet in Moskau von den Polen gefordert, visafreien Verkehr nach Kaliningrad zuzulassen. „Mit welchem Recht? Chirac ist doch wohl nur für Reisen in Frankreich zuständig.“

Auch im Gespräch mit der taz zeigt Michnik wenig Verständnis für den „Paternalismus“ der Franzosen. „Für Paris war die EU stets ein Mittel, die eigene Position in der Welt wieder aufzubauen. Doch jetzt wird man sich bewusst, dass Frankreich in einer EU der 27 nicht die gleiche Rolle wie heute spielen kann.“

Die Kritik, dass Polen sich mit der Unterzeichnung des „Briefs der Acht“ über EU-Regeln hinwegsetzte, will Michnik nicht gelten lassen. Die Union sei in der Irakkrise gespalten, die Polen hätte das gute Recht, zu zeigen, auf welcher Seite sie stünden.

Die EU sei für Polen mehr als nur ein Binnemarkt. Und man trete auch für eine gemeinsame Außenpolitik ein. Allerdings dürfe deren Ziel nicht sein, die Union als Gegenmacht zu den USA aufzubauen. Da genau dies sich jedoch abzeichne, könne es in den nächsten Jahren zu einem „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ kommen und Polen werde dann zu den Staaten gehören, die bei der Abtretung ihrer Souveränität an Brüssel eher vorsichtig sind. Michnik: „So viele haben für ein freies Polen gekämpft, warum sollten sie dieses jetzt sofort wieder aufgeben?“

SABINE HERRE