Zwischenräume erster Klasse

Windmaschinen für die Wessis, Rauchfleisch mit Vanillesauce für die Ossis: Moritz von Rappard veranstaltet in einer gläsernen Edel-S-Bahn Hörspiele übers geteilte Berlin. Auf neutralem Terrain, während der Fahrt über den S-Bahn-Ring, kochen bei den Zuschauern zuweilen alte Animositäten hoch

Da wird, wie es scheint, so manche alte Wunde aufgerissen und die Wut kocht nur so hoch

VON KATJA WINCKLER

Auffallend, wie lautlos die Türen schließen. Die Polster aus rotem Velours-Samt geben beim Hinsetzen ein wenig nach. Sogar von oben fällt Licht durch die blank geputzten Scheiben. An einer Bar gibt es Getränke. Ein kleiner Ruck, und der Zug beginnt zu schweben. Dann ertönen aus den Boxen sonore Sprecherstimmen, und niemand bellt „Zurückbleiben, bitte“.

Das Projekt Berlin reTour von Moritz von Rappard im gläsernen Vorzeige-Zug der Berliner S-Bahn bietet eine rund 80-minütige Fahrt auf dem 37 Kilometer langen S-Bahn-Ring. Die Tour ist nicht nur wegen der Luxus-Ausstattung erster Klasse: Denn während Küchenfenster, Hinterhöfen, Kleingärten, Fabriken und Regierungsbauten vorüberziehen und Hörspiele übers geteilte Berlin vom Band laufen, lernt man seine Stadt aus einer anderen Perspektive kennen. Und immer wieder stellt sich die Frage: Ist das hier noch Ost oder schon West? Was war gestern, was ist heute?

Vier Hörspiele, die monatlich wechseln, hat von Rappard im Programm. Wie groß der Schmerz über die Trennung der zwei deutschen Staaten für ihn war, schildert Horst Krüger in seinem SFB-Feature „Die Mauer“ von 1981. (West-)Deutschlands renommiertester Reiseschriftsteller und jahrzehntelanger Flaneur zwischen den deutsch-deutschen Welten lässt die Ereignisse vor und nach dem 13. August 1961 mit seiner hastigen, leicht lispelnden Stimme Revue passieren. Sein Blick ist der eines Westlers gen Osten.

Ans Eingemachte geht es hingegen im Hörspiel „Dreimal Deutschland“. Vor drei Jahren befragte der Journalist Uwe Mengel anlässlich des zehnten Jahres der Wiedervereinigung Ost- und Westdeutsche zu ihrem gegenseitigen Verhältnis. „Was Vorurteile angeht, geben beide Seiten gleich viel Gas“, sagt von Rappard schmunzelnd. Da ist von Ossis die Rede, die man daran erkennen kann, wie sie ihre Autotüren zuschlagen – und von Wessis, die mit wehendem Designermantel am Kollwitzplatz rumlaufen und für die man am liebsten Windmaschinen aufstellen würde, um sie aufzumischen.

Dass sich während der S-Bahn-Fahrt die Grenzen zwischen Ost und West wenigstens geografisch verwischen, kommt Moritz von Rappard ganz gelegen. Der Theaterwissenschaftler und Germanist hat im vergangenen Jahr im Rahmen seines Projekts „Denkmal Hörspiel“ bereits den Fernsehturm, die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und sogar den Flughafen Tempelhof mit Radiosendungen zu historischen Themen bespielt. Das ist seine Suche nach Zwischenräumen, wie er sagt.

Doch irgendwann machte von Rappard die Arbeit in geschlossenen Räumen nicht mehr zufrieden. „Mich reizte es, noch einen Schritt weiter zu gehen. Da die S-Bahn eine turbulente Ost-West-Geschichte erlebt hat, fand ich sie fürs Thema geteilte Stadt besonders geeignet.“

Während der Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg war sie die Verbindung zwischen den vier Sektoren. Nach dem Mauerbau wurde das Streckennetz geteilt. Erst seit einem Jahr kann der Ring wieder befahren werden.

Mittlerweile ist die Stadt, zumindest äußerlich, wieder zusammengewachsen. Die Menschen, die in ihr leben, aber noch lange nicht. So kommen Menschen auf dem neutralem Terrain der S-Bahn, die zwischen Ost und West pendelt, zwar zusammen. Zuweilen aber sorgen die Hörspiele unter den Fahrgästen auch für Zündstoff.

Da wird so manche alte Wunde, wie es scheint, aufgerissen. Wut kocht hoch, und es hagelt empörte Zwischenrufe, etwa wenn Horst Krüger in seinem Mauer-Feature Ost-Rentner als Leute mit müdem Gang und „hartem Insektengesicht. Tote Augen, die trotzdem funkeln“ beschreibt. Auch wenn Krüger diese Äußerung sogleich wieder zurücknimmt und sich selbst als einen entlarvt, der der Propaganda des Kalten Kriegs auf den Leim gegangen ist.

Als der Reiseschriftsteller in seinem Feature davon erzählt, wie ihm in einem Ost-Restaurant kalter Spargel vorgesetzt wurde, „mit Rauchfleisch statt gekochtem Schinken und statt Sauce Hollandaise eine Art Vanillesauce“, platzt einem unauffälligen Mann, Ende sechzig und offensichtlich aus dem Osten, der Kragen. So muss sich der Kalte Krieg angefühlt haben.

„Warum muss man uns als Menschen zweiter Klasse darstellen?“, bricht es zornig aus ihm heraus. Seine Verwandtschaft um ihn herum nickt stumm mit zusammengepressten Lippen. „Ist eben eine Fahrt erster Klasse“, raunt ein elegant gekleideter Mann, Marke Rechtsanwalt oder Chefchirurg, seinem ondulierten weiblichen Pendant mit Perlenkette zu. Dann stoppt endlich der Edelzug. Die Fahrt ist vorbei. Man trollt sich.

Am kommenden Sonntag, dem 25. 1., läuft „Die Mauer“. Ab 15.06 Uhr, Ostbahnhof, Gleis 9. Karten in den Kundenzentren der S-Bahn oder www.s-bahn-berlin.de