philipp maußhardt über Klatsch
: Die Nacht der tiefen Gläser

Beim Geburtstag von Gerhard Mayer-Vorfelder war es hilfreich, öfter mal auf die Toilette zu gehen

Es gibt Menschen, die habe ich einmal so sehr gehasst, dass sie mir ans Herz gewachsen sind. Dort schliefen sie eine ganze Zeit lang. Und als ich mich an sie erinnerte, waren Freunde aus ihnen geworden. Es wird Leser geben, die den nächsten Satz nicht verstehen. Aber: Ich liebe Gerhard Mayer-Vorfelder (MV). Inzwischen. Ich hab ihn zwar nur heimlich lieb, er weiß nichts davon. Doch wünsche ich ihm wirklich ein langes und gesundes Leben.

Am Montag wurde MV 70 Jahre alt, und er feierte mit seinen Freunden im Maritim-Hotel in Stuttgart. Beckenbauer war da und Netzer, Ballack und Balakov, Rudihaudisaudi und Sammer natürlich, ja doch, Assauer und der dicke Calmund auch, Rummenigge und Hitzfeld sowieso – und ich. Eigentlich alle, die in diesem Land mit Fußball zu tun haben, oder sagen wir: mit Fußball und Geld.

Ich selbst war allerdings nicht eingeladen, sondern saß nur an der Bar des Maritim-Hotels, direkt neben der Tür zur „Alten Reithalle“, um mit ebenfalls nicht eingeladenen Freunden auf das Geburtstagskind mit mehreren Long-Island-Cocktails anzustoßen. Mayer-Vorfelders Büroleiter hatte mir gesagt: „Nur Journalisten, die Herr Mayer-Vorfelder über Jahre schätzen gelernt hat“ seien auf dieser privaten Feier eingeladen. Nein, da gehörte ich nicht dazu.

Einmal, lang ist’s her, da hatte er mich sogar verklagt beim Landgericht Hamburg. Nur weil ich geschrieben hatte, dass der Finanzminister des Landes Baden-Württemberg „häufig ins Glas schaut“. Das Gericht wies die Klage ab: „Nicht von öffentlichem Belang.“ Mayer-Vorfelder ist bis heute sehr empfindlich, wenn man seinen Namen mit Gläsern und Flaschen in Verbindung bringt. Ein Gerichtspsychologe hat mir das einmal so erklärt: „Durch eine übersteigerte Reaktion auf den Vorwurf versucht mancher Täter sich selbst seine eigene Unschuld zu suggerieren.“ Dabei war das gar kein Vorwurf. Ich trinke ja auch gerne.

„Katzenklo“-Helge Schneider saß auch an der Bar. Zufällig. Er hatte einen „freien Tag“, wie er sich ausdrückte, bestellte ein gepflegtes Pils nach dem anderen und wunderte sich, wer da alles aus der Alten Reithalle auf dem Weg zum Menschenklo an ihm vorüberlief. Uwe Seeler, Donnerwetter. „Noch ’n Pils bitte.“

Nur Oliver Kahn hatte sich noch am Nachmittag entschuldigen lassen. Wegen Ehekrise unpässlich. Da lacht ein Mayer-Vorfelder nur. Liebesaffären sind die einzigen Affären, die man ihm noch nicht anhängte. Aber 70 ist ja noch kein Alter. „Wer die Hitze nicht erträgt, sollte niemals Koch werden“, ist einer seiner Lieblingssätze.

Wie ein Punching-Ball hat MV sein ganzes Leben fest in der Verankerung gehangen und die Schläge eingesteckt. Ein wenig gewackelt dabei, aber nie umgefallen. Seine Skandale tragen Namen und sind wie die Kerben im Revolver: „Lotto-Skandal“, „Graf-Skandal“, „Deutschland-Hymnen-Skandal“, „Südmilch-Skandal“, „Abfindungsskandal“, „Steuer-Skandal“ … haben wir einen vergessen? Immer zurückgeschossen, auch blind. Wie Weicheier wirken neben dieser badischen Eiche Politiker wie Rudolf Scharping oder Cem Özedmir, die sich ins Abseits drängen ließen wegen harmloser Flugmeilen oder kleiner Nebeneinkünfte.

Abwechselnd ging einer von uns auf die Toilette und kam beglückt wieder. „Hitzfeld“, meldete er dann oder „Hoeneß“. Mir gelang es, neben Jürgen Kohler am Becken zu stehen, und mein Begleiter Martin wird wahrscheinlich noch Wochen lang erzählen, dass Netzer ihm die Türe zum Pissoir aufhielt. Nur Gesine, die das auch einmal erleben wollte, wurde von einem, den sie für Felix Magath hielt, aus dem Männerklo rausgeschmissen.

Ein schöner Abend, ein langer Abend. Als um drei Uhr morgens Gerhard Mayer-Vorfelder noch immer nicht, wie von uns erwartet, bewusstlos und auf einer Trage liegend aus dem Nebenzimmer geschleppt wurde, gingen wir müde nach Hause. Da saß der jetzt 70-Jährige noch immer fröhlich, ja stark fröhlich unter seinen Freunden und beschämte uns „junge Spritzer“ mit seinem Stehvermögen.

Wir zogen im Hinausgehen den Hut. Solche Männer braucht das Land. „MV das heißt: Mit Volldampf voraus“, sagte da gerade Fifa-Boss Sepp Blatter. Für nächsten Montag hat Mayer-Vorfelder noch einmal zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. Dann dürfen auch all diejenigen kommen, die er nicht so leiden kann. Natürlich bin ich auch eingeladen.

Fragen zu Gläsern?kolumne@taz.de