„Vertrau deiner kleinen Note“

Im Auftrag der Wahrheit wird Alexander von Jacques Proux geistgeheilt. Ein Monolog

„300.000 Euro. 300.000 Euro! Ja, genau. So viel lässt sich die EU eine Studie kosten, die herausfinden soll, ob Fernheilung gegen Allergien und chronische Erschöpfung hilft. Pah! Ich könnte platzen vor Wut. Das ist mein Geld. Mein Geld! Ich bin der einzig wahre Geistheiler. Ich! Und: ich habe Hunger, verdammt. Aber der Herr Professor Harald Walach von der Uni Freiburg muss ja nur mal eben sagen: Oh, Fernheilung – interessantes Phänomen. Lass uns mal ein bisschen forschen. Und es fließt Geld. Ich kann ja hier verhungern. Hochtalentiert und halbtot.

Dabei habe ich eine Methode entwickelt, die alles bisher Dagewesene in Grund und Boden demütigt. Da verlassen die sich bei der Studie auf Leute, die größtenteils mit Gebeten operieren. Gebete – das ist nichts gegen meine Methode. Zwei Worte reichen, um sie zu beschreiben: verwandeln und beamen. Ha! Da staunen Sie, Professor Walach. Geben Sie mir mein Geld zurück. 300.000 schulden Sie mir. Verwandeln und beamen – ich werde es beweisen. Jetzt, sofort, in dieser Woche. Selbstverständlich nicht bei solchen Mädchen-Krankheiten wie Allergien oder chronischer Erschöpfung. So, jetzt dürfen mal alle den Atem anhalten. Ich – ich ganz allein – werde Alexander, Superstar-Kandidat mit einer fiesen Stimmbandentzündung, heilen und damit das große DSDS-Finale am Samstag retten. Gut, ich fange an. Ich muss mich konzentrieren. Verwandeln und Beamen. Konzentration. Ich verwandele mich in eine Note. Ich bin eine Note. Ich trage ein seidenweiches Thymian-Mäntelchen. Und – schnips – jetzt beame ich mich in deinen geschwollenen Rachen, Alexander.

Angekommen. Ich streichele ganz sanft über deine Stimmbänder. Kurze Zäsur: Bei jeder Fernheilung ist eins ganz wichtig: Liebe. Eine echte Herausforderung also für jemanden wie mich, der in seinem Leben so etwas wie Liebe nie erfahren hat. Ich wäre ja schon mit ein wenig geheuchelter Sympathie zufrieden gewesen. Aber nicht mal das war drin. Liebe. Ich habe über die Jahre gelernt, mich selbst zu lieben. Schnief. Und von dieser Liebe – schnief – werde ich jetzt etwas abgeben. Was heißt etwas? Einen beträchtlichen Teil. Also gut – schnief: Ich liebe dich, Alexander. Oh ja, ich liebe dich. Ich bin eine Note. Und ich liebe dich. Ich bin eine Note, die anmutig auf deiner belegten Zunge tanzt. Ich küsse deine entzündeten Stimmbänder, auch wenn ich mir dabei den schlimmsten Herpes hole. Ich liebe dich. Hör nicht auf die anderen. Niemand kann dir das Wasser reichen. Auch wenn Daniel dich in dieser Woche bei allen Autogrammstunden vertritt und mit all den Mädchen schläft, die für dich gedacht waren: Dich kann niemand stoppen. Diese Krise macht dich nur noch stärker. Vertrau deiner kleinen Note. Du wirst rechtzeitig gesund. Und wenn nicht, dann singe ich für dich. Du bewegst einfach die Lippen. Und ich singe für dich. Zusammen können wir es schaffen.

Ich spüre schon, wie sich deine Stimmbänder wieder erholen. Du bist der Superstar. Ich liebe dich, Alexander. Und nun wieder ganz soft zurück. Beamen. Verwandeln. Ja. Fertig. Alex wird gewinnen. Und ich will endlich Gerechtigkeit und Anerkennung. 300.000!“

AUFGEZEICHNET VON
MICHAEL REINHARD