Einschläfernder Kunstgenuss

Norddeutschland sucht den „Schlaflied-Star“: Annekatrin Gall, Chefdramaturgin des Bremerhavener Stadttheaters, gewinnt den Milupa-Gesangswettbewerb mit einem romantischem Kunstlied

taz ■ Mit dem „Wiegenlied“ von Carl Maria von Weber trat die Bremerhavener Theater-Chefdramaturgin Annekatrin Gall am Montag in Hamburg um den Titel „Norddeutscher Schlafliedstar“ an – und gewann. Sie wird das Land Bremen am 24. März beim Deutschland-Finale der „Milumil-Schlafliedhitparade“ in Köln vertreten.

Während die meisten MitbewerberInnen auf eher leichte Kost wie „Weißt du, wieviel Sternlein stehen“ und „La le lu“ setzten, wagte sich Gall mit der Wahl des romantischen Kunstliedes von 1810 auf wesentlich schwierigeres Terrain: Nicht nur stimmlich wurde ihr einiges abverlangt, auch textlich hebt sich das „Wiegenlied“ deutlich von gängigen Schlaflied-Standards ab: „Alles ist ruhig, ist still wie im Grab, / wart nur, ich wehre die Fliegen dir ab.“

„Es ist kein rosiges Säusellied, es ist witzig, aber auch sehr innig“, erklärt Gall die Wahl. Sie sei durch Zufall darauf gestoßen, als sie ein Schlaflied-Repertoire für ihren mittlerweile sieben Monate alten Sohn zusammenstellte. Das Lied ließ sich gut auf der Gitarre begleiten und hatte eine sofortige einschläfernde Wirkung auf das Kind – neben der musikalischen Qualität ein wichtiges Kriterium im Schlaflied-Wettbewerb.

„Mein Mann und mein Sohn mussten mit auf die Bühne ins Scheinwerferlicht, damit die Jury feststellen konnte, wie das Lied auf das Kind wirkt“, erinnert sich Gall. Ohne ernsthafte Siegesabsichten hatte sie das „Wiegenlied“ mit einem alten DDR-Mikrofon aufgenommen und kam prompt in die Vorauswahl . „Es hatten sich immerhin 10.000 Leute beworben“, berichtet Gall stolz. Aus dieser Flut von Einsendungen wurden jeweils drei bis fünf TeilnehmerInnen pro Bundesland ausgewählt, um in den regionalen Vorrunden gegeneinander an zu singen.

Die Bremer Mitbewerberin Jutta Schröter gönnt der Theatermacherin ihren Etappensieg von ganzem Herzen – doch ein bitterer Nachgeschmack bleibt zurück. „Ich hatte überhaupt keine Zeit, mit dem Pianisten, der mich begleiten sollte, zu üben. Kaum war ich da, bekam ich auch schon die Anweisung, anzufangen“, erinnert sich Schröter, die mit dem russischen Wiegenlied „Bajuschki“ angetreten war.

„Man hatte mich auch nicht informiert, dass Presse und Fernsehen anwesend sind, und dass die beruhigende Wirkung der Lieder auf die Kinder eines der Hauptkriterien ist. Mein Patenkind zahnt gerade und konnte unmöglich mitgenommen werden. So gesehen hatte ich gar keine Chance.“ Bis auf einen falschen Ton hatte die geübte Sängerin der Folklore-Gruppe De Utkieker „exakt gesungen“ und ist von daher besonders enttäuscht über ihr Ergebnis.

Auch wenn Schröter die Herausforderung zum Sangeswettstreit nur „just for fun“ angenommen hatte: Wäre sie besser informiert gewesen, hätte sie sich intensiver vorbereitet und bessere Chancen auf den Einzug ins Finale in Köln gehabt.

Da geht es um mehr als nur die Ehre und den am schnellsten müde gesungenen Säugling: Drei sogenannte „Schlummer-Oscars“ in Gold, Silber und Bronze sowie Kindersparbücher im Gesamtwert von 8.000 Euro stehen auf dem Spiel.

Till Stoppenhagen