„Diffuse Fremdenfeindlichkeit“ verurteilt

Hohe Haftstrafen für fünf junge Männer, die einen Russlanddeutschen mit einem großen Feldstein töteten

WITTSTOCK taz ■ Wittstocks Bürgermeister Lutz Scheidemann (FDP) zeigte sich am Tag der Urteilsverkündung im Prozess um den gewaltsamen Tod des 24-jährigen Russlanddeutschen Kajrat B. erleichtert. Wittstock sei „nicht rechter als andere Städte in Brandenburg“, verkündete der Bürgermeister flugs im Radio. Es sollte beruhigend klingen.

Schon vor Prozessende hatte Scheidemann hohe Haftstrafen für die fünf Angeklagten gefordert, die gestern im Landgericht Neuruppin das Urteil regungslos und mit gesenkten Köpfen entgegennahmen. An der Realität in seiner Stadt ändert das wenig.

Zehn Jahre Haft wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung, sieben und sechs Jahren Haft wegen Totschlags beziehungsweise gefährlicher Körperverletzung, zweieinhalb Jahre Haft wegen Misshandlungen: so endete ein Prozess gegen fünf junge Technofans, den Richterin Gisela Thaeren-Daig als „Puzzle“ bezeichnete.

Ein Großteil der über 50 Zeugen versuchte, die Angeklagten zu schützen. „Die Männer passen nicht ins Bild brutaler rechter Schläger, aber eine diffuse Fremdenfeindlichkeit schwang die ganze Zeit unterschwellig mit“, beschrieb sie das Ergebnis einer schwierigen Motivsuche. Eine explizit rechtsextreme Motivation verneinte das Gericht.

Dominique John vom Potsdamer Verein „Opferperspektive“, der die Hinterbliebenen von Kajrat B. unterstützt, spricht von „fließenden Übergängen“ zwischen der organisierten Glatzenszene in Wittstock und der Technoszene, der sich die fünf Angeklagten und ihre Freunde zugehörig fühlen. „Die Dresscodes und die Musik unterscheiden sich“, so John. Rassistische und fremdenfeindliche Ideologiefragmente seien inzwischen jedoch Bestandteil einer jugendlichen Alltagskultur, die weit über die organisierte rechte Szene hinausreiche. John verweist auf Zeugen im Prozess, die von mehreren Prügeleien während der Technoveranstaltung berichteten, an deren Ende Kajrat B. tödlich verletzt wurde. „Alle anderen Streite wurden letztendlich geschlichtet. Doch als auf die am Boden liegenden Russlanddeutschen eingeschlagen und eingetreten wurde, schritt niemand ein“, so John. Beobachtungen, die von der Polizeistatistik gestützt werden. Auf einen 40-prozentigen Anstieg rechter Straftaten in der Region im Jahr 2001 reagierte das Potsdamer Innenministerium mit der Entsendung einer Sonderkommission „Täterorientierte Maßnahmen gegen extremistische Gewalt“ – der siebten im Land.

Die Angehörigen von Kajrat B. sind offenbar nicht davon überzeugt, dass ihre Sicherheit in Wittstock gewährleistet ist. Raissa B., Mutter des getöteten Kajrat B., und ihr jüngerer Sohn, haben Wittstock verlassen und leben nun in Baden-Württemberg. Andere Opfer rassistischer Gewalt gingen vor ihnen. Eine russlanddeutsche Familie zog nach einem schweren Angriff auf zwei Söhne ins nahe Neuruppin. Auch der 19-jährige afrodeutsche Manuel G., der im Mai 2001 in der Wohnung eines Freundes von einem Dutzend Neonazis überfallen wurde und sich nur durch einen Sprung vom Balkon retten konnte, hat Wittstock verlassen. Kurz nach dem Angriff auf Manuel hatte sich ein Wittstocker Bündnis für Toleranz gegründet. Dessen Ziel, den Exodus all derer, die nicht ins rechte Weltbild passen, aus Wittstock zu stoppen, wird noch einiges an Engagement erfordern. Der Verein „Opferperspektive“ bittet derweil um Spenden für einen Grabstein für den 24-jähringen Vater eines Kleinkinds. HEIKE KLEFFNER