Cargo-Hose meets Fashion-Spektakel

Wenn am Wochenende die Bread & Butter ihre Tore in einer Spandauer Industriehalle öffnet, zeigen „Selected Brands“ hippe Textilien. Auch wenn die einstige Experimentierlust abgenommen hat: Ein Künstlerkollektiv darf kommerzfreie Akzente setzen

VON LUKAS-CHRISTIAN FISCHER
UND ANNA BILGER

„Das Prinzip Messe ist furchtbar.“ Peter Lorenz steht im Kabelwerk Spandau. Der Blick des jungen Fotografen wandert durch die riesige Halle. „Da gleicht eins dem anderen. Interessant sind nur einzelne Stände.“ Zum Beispiel der eigene: Auf 100 Quadratmetern stapeln sich Frachtkisten aus Pakistan und bilden einen ellipsenförmigen Raum. Die meterhohen Innenwände sind dicht behängt mit Fotos, Zeichnungen, Bildern, Collagen – eine Überdosis Kreativität.

Die Installation ist das Werk des Künstlerkollektivs Mad Eye, das an diesem Wochenende die Modemesse Bread & Butter mit einem nicht kommerziellen Konzept ergänzen möchte. Während 400 Aussteller dem Fachpublikum die Mode-Ideen für den Herbst 2004 präsentieren, wollen die fünf Künstler von Mad Eye eine „Oase der Kunst im Paradies des Konsums“ erschaffen. Peter Lorenz kann sich bei diesem Satz ein Lachen nicht verkneifen. Der 28-Jährige weiß, wie schnell solche Schlagworte als Worthülse enttarnt werden können. Und beeilt sich zu sagen, dass es Mad Eye nicht nur um „Kunst statt Kommerz“ geht, sondern auch um Kontakte zu potenziellen Auftraggebern. „Hier kommen Kreative aus allen Richtungen: Magazine, Künstler und Agenturen“, erklärt Kollege Dirk Behrendt die Motivation, auf der Bread & Butter auszustellen. Der 32-jährige Graffitikünstler, klassisch in Cargo-Hosen und Kapuzenpulli, will die drei Tage nutzen, um seine Kunst zu präsentieren, ohne sich anzupassen.

Während Firmen wie Puma, Carhartt und Adidas rund 200 Euro Standmiete pro Quadratmeter zahlen, haben die Künstler ihre Fläche von den Veranstaltern umsonst zur Verfügung gestellt bekommen. „Wir arbeiten immer wieder gerne mit Leuten zusammen, die auf interessante Weise urbane Kultur reflektieren. Die Besucher wissen das zu schätzen“, erklärt Kristyan Geyr, einer von drei Gesellschaftern der Bread & Butter GmbH. Das Fashion-Spektakel sei eine neue und einzigartige Veranstaltung, bei der sich Kreative aus der ganzen Welt treffen. Das Wort „Messe“ mag Geyr in diesem Zusammenhang nicht in den Mund nehmen. Die Bread & Butter hat sich als „Tradeshow for Selected Brands“ im Sommer 2001 in Köln das erste Mal präsentiert – als Abspaltung der angestaubten Fachmessen „Herrenmodewochen“ und „Interjeans“. Mit Erfolg. Das Konzept: nur ausgewählte, originelle Marken sowie „Newcomer und Querdenker, die kreativ sind, ohne die Zwänge einer großen Firma, die sich auf dem Markt schon positioniert hat“. Der Event ist stetig gewachsen und 2003 nach in die Hauptstadt übergesiedelt – nach Spandau. Auf der Insel Gartenfeld öffnet die Bread & Butter im ehemaligen Siemens-Kabelwerk nun zweimal im Jahr ihre Tore. Das verlassene Industrieareal haben Geyr und seine beiden Partner inzwischen sogar gekauft. „Wir glauben an unser Konzept und an den Standort.“ Schließlich bietet die Insel genug Raum, um zu expandieren. Im Vergleich zur letzten Bread & Butter im Sommer 2003 konnte jetzt die Ausstellungsfläche verdoppelt werden. Auch die Besucherzahl soll an diesem Wochenende einen neuen Höchststand erreichen. Geyr rechnet mit 25.000 Fachbesuchern, die „kritisch und kreativ sind und über ein gewisses finanzielles Potenzial verfügen“. Und die sollen etwas geboten bekommen: nicht Messefraß, sondern Catering durch Szene-Gastronomie wie das „103“ von der Kastanienallee; keine Standpartys mit Vertreterflair, sondern nächtliches Amüsement im „Café Moskau“.

Der schönen Verpackung zum Trotz: Für die meisten Beteiligten geht es immer noch um Kaufen und Verkaufen – wie bei jeder Messe. Firmen und Labels präsentieren Kollektionsentwürfe, Einkäufer sichten Trends. „Dabei ist die Zusammenstellung der Marken wichtig. Wir zeigen keine klassische Damenoberbekleidung und keine Textilfabrikanten aus Asien oder der Türkei, die Leistung ohne Produktphilosophie anbieten“, so Geyr. Dass allerdings die Selected Brands auch in Billiglohnländern produzieren lassen, interessiert die Macher wenig: „Da sind wir unkritisch. So funktioniert die Wirtschaft nun mal.“

„Funktionieren wie die Wirtschaft“ scheint auch ein wesentlicher Gesichtspunkt zu sein, nach dem bei der Bread & Butter entschieden wird, welche Newcomer gefördert werden sollen. Das glauben Maria Thomas und Thoas Lindner vom Label Butterflysoulfire. Die Designer aus Prenzlauer Berg stehen dem Mode-Event inzwischen kritisch gegenüber. „Bei der ersten Bread & Butter in Berlin gab es noch eine Off-Show im ehemaligen Staatsratsgebäude, auf der junge Modemacher für 300 Euro einen Stand mieten konnten“, sagt Thoas. „Die Stimmung war euphorisch, alle dachten: Jetzt tut sich was.“ Tatsächlich: fielen die eigenwilligen Einzelstücke aus Second-Hand-Materialien auf und sorgten monatelang für volle Auftragsbücher. Damit ist es vorbei: Die Offshow wurde durch eine „Foundation“ ersetzt, die auswählt, welcher Nachwuchsdesigner umsonst ausstellen darf. Butterflysoulfire erhielten eine Absage. Begründung: Ihre Unikate seien kommerziell nicht umsetzbar. Aber muss Kreativität in Masse reproduzierbar sein? Thoas verneint das. Wenn man Nachwuchs fördern wolle, gehe es doch um den frischen Impuls. Einen eigenen Stand können und wollen sich Maria und Thoas nicht leisten. Daher waren sie bei der letzten Bread & Butter mit einer Guerilla-Aktion präsent und haben Flyer verteilt.

Die fünf Künstler von Mad Eye bleiben optimistisch: „Ich bin gespannt auf den Gegensatz zwischen unserer Kunst und dem kommerziellen Umfeld, von dem wir uns abheben möchten“, erklärt Jörg Wenning. Der Bildhauer hat kein spezielles Programm für die Bread & Butter, er stellt aus, was ihm gefällt. „Entweder man macht, was man gut findet, oder was sich gut verkaufen lässt.“ Im dunklen Kämmerlein könne sich Kunst schließlich nicht entfalten, ergänzt Dirk Behrendt. Seine Bilder sollen raus in die Welt, um gesehen zu werden. Die Bread & Butter ist dafür nur ein Rahmen. „Die Messe beeindruckt mich nicht. Ich will selbst beeindrucken.“