DER PROZESS ZUM MORD ANNA LINDHS BLENDET DIE WICHTIGSTE FRAGE AUS
: Hauptsache schnell – das wird sich rächen

Nach der Ermordung Anna Lindhs sollte alles anders werden als nach der Olof Palmes. Ein Vorsatz, den die Polizei – von anfänglichen Fahndungspannen und der Präsentation eines falschen Verdächtigen abgesehen – tatsächlich umsetzen konnte. Ein geradezu vorbildlich umfassendes Ermittlungsergebnis, anhand dessen vermutlich in Zukunft der Polizeinachwuchs geschult wird. Klare technische Beweise und als Bonus dann auch noch ein geständiger Verdächtiger.

Beste Voraussetzungen für ein Gerichtsverfahren, in dem alle Fragen im Zusammenhang mit der Tat restlos beantwortet werden können. Sollte man meinen. Und was passiert? Erschreckend wenig. Von rund eintausend vernommenen ZeugInnen wurde eine einzige von der Staatsanwaltschaft präsentiert. Der Angeklagte verwirrt sich in Widersprüche. Doch denen wird nicht gefolgt. „Stimmen“ haben die Tat befohlen. Eine Einlassung, die weder Gericht noch Anklage in Frage stellen. Auch die Verteidigung gibt sich zahm. Für den möglichen Nachweis einer durch Tabletteneinnahme bedingten eingeschränkten Schuldfähigkeit wäre ein Gutachten nahe liegend. Es wird nie gefordert.

Der Lindh-Prozesses scheint im Ergebnis auf psychiatrische Behandlung statt lebenslanger Freiheitsstrafe hinauszulaufen. Sowohl dem Angeklagten und seiner Umgebung als auch der Gesellschaft ist vermutlich am meisten damit gedient, wenn er keinen Tag im Knast verbringen muss. Auch der schwedische Strafvollzug ist ineffektiv und entfaltet allenfalls Negativwirkung. Doch der Preis dieses Schnellverfahrens sind offene Fragen. Viele lose Fäden, an deren Ende ein politisches Motiv auftauchen könnte, sind in den 1.100 Ermittlungsseiten liegen geblieben. Keine Sekunde beschäftigte sich das Gericht mit möglicher Motivsuche. Und das bei der Ermordung der herausragendsten Politikerin des Landes. Mag sein, dass tatsächlich einzig und allein die psychische Instabilität des Angeklagten hinter dem Mord steht. Eine nahe liegende Alternative aber nicht einmal angekratzt, geschweige denn ausgeschlossen zu haben, verspricht sich bitter zu rächen. REINHARD WOLFF