Excel für Afghanistan

In einem Volkshochschulkurs lernen afghanische Ingenieure neue Computerprogramme: Sie wollen nach vielen Jahren in Deutschland in ihre Heimat zurückkehren und am Wiederaufbau mitarbeiten

von LENA GORELIK

Enajatullah Farjad will wieder nach Hause. Zuhause ist Afghanistan, und er möchte so schnell wie möglich dorthin. „Sobald ich weiß, dass ich ohne Angst dort leben kann.“ Wie lange Farjad in Deutschland ist, weiß er spontan nicht mehr: „Seit 1981, wie lange ist das?“ Das sind 22 Jahre, und Farjad will endlich nach Hause.

Farjad sitzt in den Räumen der Hamburger Volkshochschule am Computer und übt CAD, ein Programm für Bauingenieure. Zusammen mit zehn anderen Teilnehmern macht er einen Computerkurs für afghanische Hochbauingenieure, die in ihre Heimat zurückkehren wollen. Mehrere Wochenenden lang lehren deutsche Kursleiter die gebürtigen Afghanen Programme wie Excel und CAD. „Die erworbenen Kenntnisse sollen ihnen helfen, sich als Ingenieure aktiv am Aufbau Afghanistans zu beteiligen“, erklärt VHS-Mitarbeiterin Monika Seeba.

Zia Taher ist Mitglied des Vereins Afghanischer Ingenieure und Techniker in Deutschland, dessen Ziel es ist, den technischen Wiederaufbau des Landes zu unterstützen. Sein Verein, dem etwa 50 Mitglieder angehören, hatte die Idee für diesen Kurs und hat den VHS-Verband angesprochen. „Es geht nicht darum, dass man alles hinter sich zurücklässt. Man kann auch ein paar Monate lang an einem Projekt in Afghanistan mitarbeiten“, erklärt Taher in fehlerfreiem Deutsch. In Kabul ist er auf eine deutsche „Eliteschule“ gegangen, von dieser hat er auch ein Stipendium für ein Studium in Deutschland bekommen.

Nun lebt Taher seit 25 Jahren in Hamburg, hier hat er Bauingenieurwesen studiert, hier hat er geheiratet. Trotzdem, für ihn steht es außer Frage, dass er nach Afghanistan zurückkehren will. „Erst waren die Russen da, dann die Taliban. Wenn demnächst Ruhe einkehrt, gehe ich zurück.“ Taher hat drei Kinder, die dreisprachig aufwachsen: mit Deutsch und zwei afghanischen Landessprachen. „Sie stellen Fragen über das Land. Sie sind dafür, dass wir den Schritt vollziehen.“

Die meisten Teilnehmer sind um die fünfzig. Sie grüßen alle freundlich mit „Guten Tag“ und fragen „Wie geht‘s?“ Wenn sie an ihren Computern üben, sprechen sie afghanisch. Verständnisschwierigkeiten gebe es nicht, berichtet der Dozent Hans-Otto Schott: „Das Gute an dem Kurs ist, dass die Zusammenarbeit sehr gut klappt. Diejenigen, die schneller etwas aufnehmen, zeigen es ihren Kollegen.“

Fahim Mohammadi fällt in dem Bild der älteren Herren in Stoffhosen, zeitlosen Pullovern und Hemden aus dem Rahmen: Er trägt eine Jeans, einen Markensweater, modische Schuhe, in seinen Haaren glänzt Lack. Er ist 21, TU-Student für Bauingenieurwesen. Auch er ist in Kabul geboren, allerdings war er noch ein Kleinkind, als er nach Hamburg kam. Nach Kabul zurückgehen? „Mal sehen, vielleicht. Erst mal studieren“, sagt Mohammadi. Ihm ginge es bei diesem Kurs vor allem darum, die Programme zu lernen, weniger um den Wiederaufbau. „Ich fühle mich als Deutscher.“

Enajatullah Farjads Zuhause ist Afghanistan, auch nach 22 Jahren in Hamburg. 1981 ist er vor den Russen nach Deutschland geflüchtet. Noch hat er Angst zurückzugehen, er will abwarten, bis sich die Lage etwas stabilisiert hat: „Es ist gefährlich, wenn man aus Deutschland kommt. Die Leute dort gehen davon aus, dass man Geld hat. Entweder man gibt das Geld, das man nicht hat, oder man ist tot.“ Warum der 42-Jährige trotzdem in dieses Land will? „Es ist meine Heimat, es ist meine Umgebung, da sind meine Freunde, mit denen ich groß geworden bin.“ Farjad hat sein Land und seine Freunde jahrelang nicht gesehen, er sei darauf eingestellt, dass sich vieles verändert hat, aber: „Mir ist es egal, es ist trotzdem mein Land.“

Ähnlich wie Taher, der ihm diesen Kurs empfahl, hat Farjad hier eine Afghanin geheiratet und drei Kinder. „Mein ältester Sohn hat bis zur Vorschule kein Wort Deutsch gesprochen. Aber er hat die Sprache perfekt gelernt.“ Ähnlich wie Taher geht auch Farjad davon aus, dass den Kindern der Umzug gut tun wird: „Hier pferchen wir uns in eine Drei-Zimmer-Wohnung. Zuhause wartet ein Haus.“ Zuhause ist Afghanistan.