Alle Macht dem Hinterteil

Wider das Diktat vom Barbie-Po: Die Bremer Kulturwissenschaftlerin Ingelore Ebberfeld, die eine Studie über weibliche Gesäß-Erotik vorgelegt hat, spricht sich vehement gegen den Boom an Schönheitsoperationen aus und meidet strikt das böse A-Wort

aus Bremen Markus Jox

Das Ding hat unzählige Namen: Donnerbüchse, Glutealgegend, Kiste, Steiß und Pöter sind nur einige davon. Gleichwohl harrte diese Körperregion bislang einer gründlichen Begutachtung. Die Bremer Kulturwissenschaftlerin Ingelore Ebberfeld wollte das jetzt ändern und publizierte in der Zeitschrift für Sexualmedizin der Medical Tribune eine Studie über Gesäß-Erotik in den Zeitläuften der Kulturgeschichte. Ebberfeld erzählt unter anderem von Raffaels „Sündenfall“ und dem berühmten Foto aus der „Kommune 1“, deren Bewohner provokativ ihre Hintern gen Kamera reckten. Die Werbung arbeite mit Hinterteilen, beim Strip werde der Po „ausgiebig mit rotierenden Bewegungen gezeigt“. Die These der Forscherin: Ein Po besitzt nicht nur erotischen Charakter, sondern ist erotisches Lockmittel Nummer eins.

Ingelore Ebberfeld spricht fast immer nur vom „Hintern“, wahlweise auch mal vom „Gesäß“ oder dem „Popo“. Allein das böse A-Wort nimmt sie nie in den Mund. Viel zu vulgär, zu spröde, zu rüde ist es ihr. Auf das Thema sei sie gestoßen, sagt Ebberfeld, „weil ich schon seit längerem mein Augenmerk auf Schönheitsoperationen gelegt habe“. Und darauf, wie der weibliche Körper immer mehr idealisiert, auf ein bestimmtes Schönheitsideal zugeschnitten werde. Bei Frauen stehe heute „die Barbie-Puppe“ im Vordergrund: schmale Taille, kein Bauch, ausgeprägter, aber kleiner und runder Po, lange, schlanke Beine sowie ein größerer Busen, „als es der Körper eigentlich hergibt“. Ebberfeld findet es „gruselig“, wie oft sich Frauen liften lassen. „Mittlerweile hab ich das Gefühl, dass die Menschen das Verhältnis zum Normalen verlieren und einem krankhaften Körperkult huldigen.“ Ihre Bitte: „Frauen, hört doch auf mit der Operiererei!“

Die Bremerin, die bereits ihre Doktorarbeit über die weibliche Sexualität geschrieben hat und sich über „Geruch und Sexualität“ habilitierte, ist sich sicher: Der wichtigste sexuelle Stimulus der Frau sei nicht der Busen, sondern das Hinterteil. „Ich gehöre noch zu der Generation“, sagt die 1952 geborene Ebberfeld, „die mit der Jeans in die Badewanne ging, damit die beim Trocknen noch formbetonter wurden“. Ebberfeld blickt zurück in archaische Zeiten: „Damals war das Entscheidende, dass wir im richtigen Moment den richtigen Geruch abgegeben und den Hintern hingehalten haben, um uns fortzupflanzen.“ A tergo, also von hinten, und nicht face-to-face sei ja die klassische Kopulationsstellung von Säugetieren. Seitdem sich die Menschen vom Boden erhoben hätten und sich ins Gesicht schauten, habe sich wohl Scham entwickelt: „Männer haben gelernt, einer Frau mit großem Ausschnitt nicht stier ins Dekolletee, sondern züchtig in die Augen zu schauen.“ Beim Po sei das anders: „Damit kann ich unverholen locken.“ Von hinten könne sich eine Frau mithin ohne bestraft zu werden präsentieren – „und der Mann kann gucken, ohne bestraft zu werden.“ Ebberfeld zitiert den Völkerkundler Jean Wegeli, der bereits um 1900 „männliche Podex-Fetischisten“ ausmachte, „die sich an den weiblichen Hinterbacken geradezu einen Kinnbackenkrampf zusammenküssen“.

Vor dem Zeitalter der globalen Normierung auf Barbie-Niveau habe es unterschiedliche Idealbilder gegeben, erzählt Ebberfeld: Von 1870 bis 1880 etwa sei der cul de Paris in gewesen, ein mächtiger Hottentotten-Hintern, ein „Fettsteiß“, den frau mit Samtpolstern geformt habe. Und während in der japanischen Mittelschicht noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein kleiner, zierlicher Po gefragt gewesen sei, sei im arabisch-orientalischen Raum eher ein großer, massiger Hintern goutiert worden. Auch heute gebe es natürlich noch Männer, die sich ganz bewusst Frauen mit großen Popos aussuchten. „Bei den besseren Bordells müssen immer Frauen mit größerem Hintern dabeisein.“

Der männliche Mode-Hintern hingegen sei stets derselbe geblieben: klein, knackig, fest und muskulös. Ebberfeld verweist lakonisch auf den „David“ von Michelangelo und auf die Stierkämpfer, „die ihren Po eindeutig zelebrieren“. Auch die aktuelle Teenymode mit ihren baggy pants und den tief sitzenden Hüfthosen inszeniere natürlich das Hinterteil, wenn auch „auf ganz merkwürdige Weise“. Die schlaffen Hosen erlaubten einen Blick auf das Becken, auf die Rundung des Pos: Bei Girlies sehe man den String, bei Jungs die Boxershorts, und stets schwinge das Versprechen mit: „Da könnt ihr schon sehen, was drunter ist.“

Hoffnung macht der Poologin Ebberfeld derzeit Jennifer Lopez: Denn die Popsängerin gilt als sexy und trendy, obwohl sie über einen durchaus gewichtigen Anti-Barbie-Hintern verfügt. Das unterstreiche, so Ebberfeld, ihre Message: „Für mich ist entscheidend, dass man eine natürliche Ausstrahlung hat und Vielfältigkeit zulässt. Jeder Po findet seinen Liebhaber.“ Markus Jox

Infos unter www.ebberfeld.de