Ein integrer Professor für Philosophie

Jan Sokol tritt heute im dritten Anlauf der Präsidentschaftswahlen in Tschechien gegen Václav Klaus an

Aller guten Dinge sind drei. In zwei Wahlrunden scheiterte das tschechische Parlament bereits damit, einen Nachfolger für Präsident Václav Havel zu bestimmen. Jetzt soll es klappen: Wenn es nach dem Willen der Regierungskoalition geht, wird heute der parteilose Philosophieprofessor Jan Sokol in das höchste Amt des Staates gehievt.

Für den 67-jährigen Akademiker wird es nicht leicht werden: Sein Vorgänger Havel hat hohe Maßstäbe gesetzt. Im Gegensatz zu ihm wird Sokol ein geringerer Bekanntheitsgrad und weniger persönliche Ausstrahlung bescheinigt. All das unterscheidet ihn auch von seinem Gegenkandidaten der bürgerlichen ODS, Václav Klaus. Eine Einschätzung, die Sokol selber teilt: „Ich gebe zu, dass ich nicht das Charisma von Klaus besitze“, teilte er der Prague Post in einem Interview kürzlich mit. Charisma sei aber auch nicht der Schlüssel zur Präsidentschaft.

Der Unterzeichner der Charta 77 und Schwiegersohn des bekannten Philosophen Jan Patocka kann allerdings mit persönlicher Integrität aufwarten. Sokol hielt immer Abstand zum kommunistischen Machtapparat der Tschechoslowakei und nahm dafür auch persönliche Einschränkungen in Kauf. Beispielsweise wurde der überzeugte Katholik, von dem auch eine Bibelübersetzung ins Tschechische vorliegt, zunächst nicht zum Studium zugelassen. Das holte er später im Abendstudium nach: 1967 erwarb der gelernte Uhrmacher einen ersten Hochschulabschluss in Mathematik. Dies eröffnete ihm eine Anstellung an der Tschechischen Technischen Universtität, wo er als Software-Entwickler tätig war. Nach der Wende 1990 entschloss sich Sokol im Alter von 54 Jahren, Philosophie zu studieren. Mit großem Erfolg: Der Magisterarbeit 1993 folgten bereits 1995 die Dissertation und die Berufung als Professor an die renommierte Karls-Universität in Prag.

Politische Erfahrungen gewann der dreifache Vater und neunfache Großvater als Abgeordneter im letzten tschechoslowakischen Parlament von 1990 bis 1992. Nach dem Rücktritt der Regierung Klaus wegen der Parteispendenaffäre 1997 übernahm Sokol in der Übergangsregierung für ein halbes Jahr das Schulministerium. Dennoch sieht er sich als überparteiischen Präsidenten: „Ich bin ein Mensch, der zwischen den Seiten steht.“

Sokol, der neben Deutsch fünf weitere Fremdsprachen beherrscht, gehörte zu den Initiatoren der Petition „Versöhnung 95“, in der zu Verhandlungen mit den Sudetendeutschen aufgerufen wurde. Diese Haltung verteidigt er noch heute: „Ich sage nicht, wir sollten alles zurückgeben oder uns sogar entschuldigen. Mein Onkel wurde in einem deutschen Konzentrationslager umgebracht. Aber was ist so schlecht daran zuzugeben, dass beide Seiten Fehler gemacht haben?“

Zu den Zielen seiner Präsidentschaftskandidatur nennt Sokol drei Hauptanliegen: eine Verbesserung des Justizsystems, Reformen im Bildungswesen und mehr soziale Gerechtigkeit einsetzen. In dieser Frage grenzt Sokol sich deutlich von dem stärker die freie Marktwirtschaft propagierenden Klaus ab. Auch was die Integration Tschechiens in die EU angeht, wird man unter einem Präsidenten Sokol sicherlich größere Fortschritte erwarten können als beim europakritischen Populisten Klaus.

JAKOB SCHLINK