Der Frohsinn kennt kein Erbarmen

Die Karnevalssession ist lang dieses Jahr. Grund genug für den WDR, 168 Stunden Umzüge, Sitzungen und Büttenreden in Fernsehen und Hörfunk zu senden. Eine ernste Angelegenheit, für Karnevalsgegner sowieso, doch auch so mancher Jeck leidet

von MARTIN WEBER

Dass der Karneval in Köln eine ernste Angelegenheit ist, ist schon eine ganze Weile über den langen Schatten der Domtürme hinaus bekannt. Dass es jedoch so verdammt ernst um die straff organisierte Heiterkeit steht, lässt einem dann doch das Kölsch im Glas gefrieren.

Hans-Horst Engels, Präsident des Festkomitees Kölner Karneval, und damit so was wie Erich Mielke seinerzeit im Zentralkomitee, sitzt im Casino der WDR-Arkaden zu Köln auf einem mit Luftschlangen, Girlanden und Luftballons geschmückten Podium. Viel Leben steckt nicht in ihm, und im Gegensatz zum tatsächlich bereits verblichenen Ex-Stasi-Chef sagt er nicht „Ich liebe doch alle Menschen“. Engels, im Hauptberuf Zahnarzt, jammerlappt. Langsam, gemächlich und nach Restkräften. Von der achso langen Session erzählt er. Dass die ganz schön zehre. Und er sich nach mehr Zeit für die Familie und ruhigen Wochenenden mit der Gattin sehne. Dann soll er doch um Himmels willen fahren, schießt es einem durch den Kopf. Der nächste Gedanke: Er ist ja der oberste Würdenträger des Kölner Karnevals und sollte doch eigentlich von Berufs wegen vor Frohsinn vergehen. Doch was er von sich gibt, ist so kontraproduktiv wie möglich.

Zuvor hatte sich Moderator Dieter Saake dafür mordsmäßig über die besonders lange Session gefreut, der WDR-Redakteur Michael Au und Gabriel Heim, Programmchef des WDR-Fernsehens, taten es ihm gleich. Zur Erinnerung und zum besseren Verständnis: Anlass des skurrilen Szenarios ist das, was die größte Sendeanstalt innerhalb der ARD „Jeck auf WDR“ nennt.

Beeindruckende Zahlen gibt es zu vermelden: 75 Stunden Schunkelwahnsinn sendet das WDR-Fernsehen, und dabei ist die Kölner Sendeanstalt natürlich jovial und großzügig: ganz NRW kommt vor, Aachen, Düsseldorf, Westfalen im Allgemeinen und Münster im Speziellen. Deshalb sitzt Dr. Heiner Hoffmeister, Vizepräsident des Bürgerausschusses Münsterscher Karneval, auch auf dem Podium und salbadert ungestraft davon, dass Möllemann im Münsteraner Karneval herzlich willkommen sei, „vielleicht schafft er ja so ein Comeback“. Ein Clown war Möllemann schon immer, und das Münsteraner Volk würde sicher die Pappnase beisteuern.

Frohsinns-Fortschritt

Schade, dass danach der Redebeitrag von János Kereszti vom WDR Hörfunk beinahe untergeht. Die bloßen Fakten: 1981 sendeten die Radioprogramme des WDR 16 Stunden Karneval, 2003 sind es satte 93 Stunden. Der Frohsinnsfortschritt ist nicht aufzuhalten.

Wer bis zu diesem Zeitpunkt der Pressekonferenz den Kölner Karneval, die Rolle des WDR und die damit verbundenen Nebenwirkungen noch nicht kapiert hat, wende sich, am besten unter sechs Augen, an zwei vernunftbegabte Wesen, die bei der Veranstaltung auch zugegen waren: Jürgen Becker und Didi Jünemann, im Hauptberuf Kabarettisten und im Karneval seit Jahren mit ihrem „Missionswerk Rheinischer Frohsinn“ unterwegs: „Der Karneval ist eine ernste Sache, da hört der Spaß auf“, sagt Becker. „Engels ist humorfrei, und das ist Garant dafür, dass er ewig im Festkomitee bleiben kann. Was in der DDR das Zentralkomitee war, ist in Köln das Festkomitee. Karneval ist Planwirtschaft: In der DDR musste man auf einen neuen Trabbi zwölf Jahre warten, im Kölner Karneval muss man auf einen neuen Witz 15 Jahre warten. Man denkt ja immer, im Karneval würden sich die Leute maskieren. Im Gegenteil. Engels hat es ja eben bewiesen. Ehrlicher kann man nicht sein. Der Mann ist von vorne bis hinten ein Arschloch, aber im Karneval darf er’s sein.“

Jürgen Becker und Didi Jünemann gehen, das Podium ist längst verwaist. Die Frikadellenbällchen mit Olivenbesatz sind an diversen Tischen komplett verputzt, Käsewürfel mit Weintraubenapplikationen sind noch vorrätig. „Dat sin Lück (Leute) wie du un’ ich“ wollen einem die Bläck Fööss vom Band weismachen, und das ist natürlich Quatsch. Selbst bei brutalstmöglicher Toleranz gilt nach dieser Veranstaltung: Nö.

Karneval im WDR, eine Auswahl:„Karneval in Dortmund“ (heute, 22.00 Uhr), „Wider den tierischen Ernst“ (Sa, 20.15 Uhr), „Alaaf, Helau, Tschingbumm“ (So, 20.15 Uhr), „Alles unter einer Kappe“ (Di, 20.15 Uhr)