Erinnerungen bis in den Tod

Das Off-Theaterduo Cantadoras zeigt im Mülheimer Ringlokschuppen ihr neues Stück „Ich bin was du vergessen hast“. Janin Roeder und Adriana Kocijan wurden zurecht für das NRW-Theaterzwangfestival im März ausgewählt

Eine fast leere Bühne mit aufgeklebtem Spielbrett. Acht Felder, die vage auch an alte Strassenhüpfspiele erinnern. Darauf inszeniert das Ensemble Cantadoras ihr neues Stück „Ich bin was du vergessen hast“. Acht Szenen, acht verstörende Bilder. Eine Spurensuche, eine Konstruktion von Erinnerung. Die Musik dafür schrieb Eckard Koltermann, kein Unbekannter auf den freien Bühnen in Nordrhein- Westfalen.

Die Anfangssequenz ist lang. Die beiden Schauspielerinnen Janin Roeder und Adriana Kocijan hängen an Seilen in der Luft, schwingen leicht hin und her, zucken etwas, um dann wieder bewegungslos ins Leere zu schauen und weiter zu baumeln. Ein kurzer Text. Der Schrei nach den Eltern. Janine Roeder kämpft mit der Atemluft: „Es schmeckt nach Wasser, wo eigentlich Luft sein sollte“ Sie reißt den Mund bis zum Reißen auf. Adriana, die weiter hinten hängt, spiegelt ihre Bewegungen. Dunkelheit. Licht. Kostümwechsel. Die beiden putzen sich die Zähne. Manisch, schnell, endlos und sie reden dabei. „Mir ist kalt“, sagt Adriana. Sie raucht zum Zähneputzen, die Glut wärmt ihre Achseln, das Publikum lacht. „Du hättest mehr Feuerholz auflegen sollen“. Ein wenig Slapstick nach dem Baumeln. Dunkelheit. Licht. Adriana als lebende, beleuchtete Skulptur im Feld VII. Keine Worte, nur eine alte Schellackplatte kratzt auf der letzten Rille vor sich hin. Kostümwechsel. Janin nackt in einem Waschbottich, sie duscht ohne Wasser. Die Schellackplatte im Schallplattenturm wird gewechselt. Janin wird mit Schlamm beschmiert, es riecht ein wenig nach Heilerde. Oder nicht? Dann folgt das Bild der Hure an der Bar, das Löffeln der kalten Suppe im Feld IV und der Rosenkavalier. Janin tanzt mit dem Einarmigen ohne Mann daran. Der Arm wird aufdringlich, der Arm wird zudringlich, Janin fällt, wehrt sich und verliert. Ein Frauenleben zieht vorüber. „Ich bin ein Niemand“. Am Ende hängen beide wieder an den Hanfseilen.

Die meditativen Klänge von Koltermann entfliehen. Noch einmal versucht eine vergessene polynesische Hulamelodie sich aufzudrängen, die leisen Töne behalten die Oberhand. Dann ist Ruhe. Jetzt ist klar, warum die Luft am Anfang nach Wasser schmeckte. Ein typischer, verwirrender Cantadoras Abend ist zu Ende.

PETER ORTMANN

Heute, 20:00 Uhr Ringlokschuppen - MülheimKarten: 0208-993160