Frei und intolerant

Henning Melber bilanziert die ersten zehn Jahre von Namibias Unabhängigkeit. Trotz aller Sachlichkeit verbirgt er seine Enttäuschung nicht: Die Demokratie ist bedroht und die Arbeitslosigkeit dramatisch

Allen jenen sei dieses Buch empfohlen, die die erste Dekade des seit 1990 unabhängigen Namibia noch einmal Revue passieren lassen möchten. Der Band versammelt die Jahresüberblicke des „Afrika-Jahrbuchs“, das das Hamburger Institut für Afrika-Kunde herausgibt. Es bietet sowohl einen Überblick über die innen- und außenpolitische als auch über die sozioökonomische Entwicklung des Landes in der nachkolonialen Ära.

Henning Melber, ausgewiesen durch seine zahlreichen Publikationen zum südlichen Afrika, zeigt sich hier einmal mehr als kritischer Beobachter. Dabei ist, wie der Autor im Vorwort lakonisch anmerkt, die Aufbruchstimmung und Begeisterung, von der er (und viele andere) nach der Befreiung Namibias angesteckt war, längst der Ernüchterung gewichen.

Obgleich Namibia auf fast allen Politik- und Wirtschaftsfeldern wie beim Ausbau der Infrastruktur im gesamtafrikanischen Kontext gut dasteht, werden die Fehlentwicklungen klar benannt. Einer der Hauptkritikpunkte: die vormalige Befreiungsbewegung Swapo, die seit Jahren regiert, ohne auf eine wirklich ernstzunehmende Opposition Rücksicht nehmen zu müssen. Während sich Namibia durch die Alleinherrschaft der Swapo und der damit verbundenen Ovambo-Dominanz zu einem „De-facto-Einparteisystem“ entwickelte, mutierte Präsident Sam Nujoma zum selbstherrlichen Autokraten.

Sein politisches Quasimonopol weidlich ausnutzend, fällte Nujoma im Alleingang so umstrittene Entscheidungen wie die Beteiligung namibischer Truppen am Kongo- und am Angolakrieg. Trotz aller Verdienste in der Versöhnungspolitik, machen die verbalen Ausfälle des Präsidenten gegen in- und ausländische Kritiker negative Schlagzeilen. Unsäglich ist die nun schon seit Jahren anhaltende öffentliche Hetze des Präsidenten und anderer Swapo-Politiker gegen Homosexuelle. Der teilweise rabiate Umgang Nujomas mit der ihm und der Regierung nicht gewogenen Presse hat zur Folge, dass in Namibia alles andere als ein tolerantes Meinungsklima herrscht.

Neben dem Demokratiedefizit ist es vor allem die Ökonomie Namibias, die Anlass zur Sorge gibt, denn die angestrebte Transformierung der aus Kolonial- und Apartheidzeiten ererbten Strukturen in Wirtschaft und Gesellschaft gestaltet sich äußerst schwierig. Melber verweist darauf, dass das Ungleichgewicht zwischen einer weiterhin in Armut lebenden afrikanischen Bevölkerungsmehrheit und einer Mittel- und Oberschicht bisher kaum behoben worden konnte. Zu den Privilegierten zählen die Weißen und mittlerweile eine Reihe von Schwarzen. Die sozialen Gegensätze sind letztlich eine der Ursachen für die beunruhigende Zunahme von Gewalt- und Eigentumsdelikten.

Hinzu kommt eine insgesamt noch moderate, aber doch anwachsende Verschuldung des Staatshaushalts (3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts). Problematisch ist die Tatsache, dass Namibia abgesehen vom Tourismus- und Fischereisektor kaum neue Investitionen ins Land holen konnte. Und da die Gehälter für den öffentlichen Dienst über die Hälfte der Staatseinnahmen verschlingen, bleibt auch von dieser Seite her die Investitionsrate in den produktiven Sektor der Volkswirtschaft vergleichsweise gering. Nicht zu vergessen sind zudem die allzu häufig auftretenden Korruptionsfälle und das Missmanagement. Nicht gerade als ein Vertrauensbeweis zu ihrem Staat kann zudem die Tatsache gesehen werden, dass es viele der vermögenderen Weißen vorziehen, ihr Kapital im Ausland als im Lande selbst anzulegen. Solche Rahmenbedingungen verhindern es auch, die um 60 Prozent liegenden Arbeitslosigkeit und die Unterbeschäftigung zu bekämpfen.

Alles in allem liefert das Buch eine gut lesbare und engagierte Analyse des noch jungen Namibia. Die enttäuschten Hoffnungen von Henning Melber scheinen dabei trotz aller Sachlichkeit unüberlesbar durch.

JOACHIM ZELLER

Henning Melber: „Namibia 1990–2000: Licht und Schatten einer jungen Demokratie. Eine analytische Chronologie“. Namibia Wissenschaftliche Gesellschaft, Windhoek 2002, 158 Seiten, ISBN 99916-40-27-4