„Deutschland würde profitieren“

Wer illegalen Einwanderern ein Aufenthaltsrecht gewährt, erleichtert ihnen die Rückkehr ins Herkunftsland, meint der Soziologe und Migrationsexperte Jörg Alt vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst

taz: Herr Alt, existiert hierzulande eine Möglichkeit, illegale Einwanderer zu legalisieren?

Jörg Alt: Das ist in Deutschland so gut wie gar nicht machbar. Selbst wenn jemand heiratet, muss er in der Regel zunächst ausreisen und dann wieder legal einreisen. Das ist sehr teuer, und die bürokratische Prozedur dauert oft Monate. Dabei wäre es menschlich, auch für Illegale Härtefallregelungen zu schaffen. Etwa wenn jemand alt und krank ist oder in der Heimat keine Verwandten mehr hat. Anders als in Italien, Spanien und Griechenland ist bei uns nicht einmal ausnahmsweise eine Amnestie vorgesehen. Deutsche Law-and-order Politiker vertreten die Meinung, man dürfe nicht durch Legalisierung einen vorangegangenen Rechtsbruch belohnen.

Was unterscheidet in dieser Hinsicht Deutschland und die USA?

Die USA sind viel erfahrener im pragmatischen Umgang mit Illegalen. Wenn ein Illegaler in den USA Opfer eines Verbrechens wird, kann er zur Polizei gehen. Die nimmt die Strafverfolgung auf, ohne den Illegalen an die Ausländerpolizei zu melden. In Deutschland wäre das unmöglich. Die Polizei würde sofort die Papiere überprüfen. Hier nehmen viele Illegale ihre sozialen Rechte nicht wahr, weil sie die Denunziation fürchten. Zum Beispiel im Krankenhaus. Zwar unterliegt der Arzt der Schweigepflicht. Aber wenn etwa die Krankenhausverwaltung merkt, dass ein Patient kein Geld hat, wird sie das dem Sozialamt mitteilen. Und das ist zur Meldung eines Illegalen verpflichtet. Ein anderes Beispiel: Was passiert, wenn ein Schulleiter merkt, dass ein Schüler illegal hier lebt? Das ist eine rechtliche Grauzone. Freiburg hat mit dem Schulamt von Baden-Württemberg, immerhin ein CDU-Land, geklärt, dass ein Schulleiter Illegale nicht melden muss. Das SPD-regierte NRW vertritt genau die Gegenposition.

Wie viele Menschen leben denn illegal in Deutschland?

Etwa eine Million. Im Sommer mehr als im Winter, wegen der saisonalen Nachfrage auf dem Bau und in der Landwirtschaft.

Was könnte Deutschland tun, um die Zahl der Illegalen zu reduzieren?

Man könnte viel Illegalität vermeiden, wenn man mit Abschiebungsdrohungen vorsichtiger umginge. Oft wird nicht genügend geprüft, ob die Menschen im Heimatland eine reelle Chance haben. Allzu häufig werden Familien auseinander gerissen. Unsere rechtliche Definition der Kernfamilie – Eltern und minderjährige Kinder – erscheint vielen Kulturen als zu eng. Sie fühlen sich auch für erwachsene Kinder oder die Großeltern verantwortlich. Ist ihnen der legale Aufenthalt verwehrt, gehen sie in den Untergrund.

Gibt es überhaupt den gesellschaftlichen Willen, die bisherigen Zustände zu verändern?

Wohl kaum. Das System der Schwarzarbeit hier funktioniert viel zu gut. Menschen ohne Pass sind auf dem Arbeitsmarkt gefragt. Denn ein Legaler hat viel mehr Möglichkeiten, sich gegen Ausbeutung zu wehren.

Das allein erklärt aber nicht, warum die USA in dieser Frage offensiver agieren als die Deutschen.

In den USA wird das Thema schon viel länger, seit den Achtzigerjahren, intensiv diskutiert. In Deutschland war es tabuisiert, galt allenfalls als Marotte linker Spinner. Bewegung kam erst in die Diskussion, als die katholische Kirche in den Neunzigern das Thema aufgriff. Doch auch heute noch wird es vor allem in Kreisen von Gutmenschen diskutiert, die man ohnehin nicht überzeugen muss. In der FDP gibt es Menschen, die für Bürgerrechte eintreten, bei den Grünen sowieso. Aber bei der SPD und Union sind es allenfalls Einzelne.

Welchen Nutzen hätte die Bundesrepublik davon, Illegalen den Aufenthalt zu erlauben?

Forschungen in Italien und den USA legen nahe: Wenn man Illegale legalisiert, kehren sie viel häufiger wieder in ihre Heimatländer zurück. Gerade weil sie zurück nach Deutschland kommen dürfen, reisen sie für die Urlaubswochen in die alte Heimat – und bleiben manchmal für immer dort. Wenn Deutschland aber die Grenzen dicht macht, bleiben die Menschen gezwungenermaßen hier. Überlebenskriminalität und Erpressbarkeit nehmen zu – und die Menschen verlieren den Lebensmittelpunkt im Heimatland.

INTERVIEW: COSIMA SCHMITT