berliner szenen Kein Verständnis

Fiese Schminkdiebe

Anna ist für ein paar Tage in Berlin. Sie will shoppen gehen und fährt, wie es sich gehört, an den Kurfürstendamm. Dort wählt sie das Warenhaus, auf dessen gläserner Fassade zwei überdimensional große rote Buchstaben kleben. Eine Rolltreppe führt von der Damenabteilung zum Erdgeschoss. Anna entdeckt einen Typ Anfang 20 auf der Treppe, der ein metallisches Einkaufskörbchen in der Hand hält. Randvoll stapeln sich darin Wimperntusche, Rouge und Make-up. Schminkzeug eben.

Der junge Mann verschwindet in einer der Männerumkleidekabinen, wo ihn bereits ein Bekannter erwartet. Die Tür fällt zu. Das Kleiderhaus hat allerdings seine Probierzellen so angelegt, dass man stets noch den untersten Teil der Beine sehen kann. Anna bückt sich verwundert und beobachtet, wie die beiden die gesamte Schminke in einem Rucksack verstauen. Das ist zu viel für Annas Gewissen. Sie macht sich eiligst daran, einen Verkäufer zu suchen. Sie trifft einen adretten Herrn, der sich zahlreiche Klamotten über die Schulter geworfen hat und gerade an einem Kleiderständer hantiert. „Hey, bei Ihnen in der Umkleidekabine klauen sie ganz viel Wimperntusche“, sagt Anna. Der Mann schaut sie ungläubig an. Anna wundert sich. „Verstehen Sie mich nicht?“ – „No.“ Anna wird nervös. Sie denkt: „Ganz schön international, diese Stadt. Hier muss man selbst beim Einkaufen eine Fremdsprache können!“ Da sie sonst niemand vom Verkaufspersonal finden kann, fügt sie sich und fährt fort: „Do you speak Englisch?“ – „Yes, yes.“ – „Hey, I think there are some people in the cabin, they want to steal make-up.“ Aufgeregt erwartet Anna die Reaktion des adretten Herrn. „Oh, oh really. But you better tell it the people who work here.“ OLIVER RUF