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: Den Kölner Dom unter Moskaus roten Himmel platziert

Das Bild hängt schräg an der Wand – und damit auch Meer, Horizont und Himmel. Für einen Karikaturisten, der moderner Kunst nicht gewogen ist, wäre das ein ideales Motiv: Er könnte mit hämischem Strich das Wasser aus dem Bilderrahmen laufen lassen. Oder den Betrachter seekrank werden lassen. Vielleicht ist Letzteres aber auch die Absicht des Malers, des Russen Ivan Chuikov. Doch nicht, um sich über sich selber und seine zeitgenössischen Kollegen lustig zu machen, sondern um grundlegende Fragen zu stellen und – durch den Betrachter – zu beantworten.

Das ist das zentrale Thema des einstigen Dissidenten: Wie lassen sich in der Kunst Illusionen erzeugen? In welche Hierarchie ordnet sich das Dargestellte ein, wie ist es mit bekannten Formen und Inhalten in Verbindung zu bringen? Wie setzt sich überhaupt ein Bild zusammen? Welche Bedeutungen stecken in einer Abstraktion? Kann ein Künstler die Wahrnehmung des Betrachters beeinflussen – und wenn ja, wie?

Diese Fragen zur „Wahrheit“ und „Wahrhaftigkeit“ (in) der Kunst lassen sich zurückführen in die Studienjahre des 1935 Geborenen, als er zum ersten Mal mit der offiziellen Kunstdoktrin in Konflikt geriet. Es sind gleichwohl immer gültige Fragen. Chuikov variiert sie und geht ihnen in verschiedenen Werkgruppen mit großer Konsequenz nach. Eine Kammer-Ausstellung bei Inge Baecker zeichnet die verschiedenen Aspekte dieser intellektuellen Auseinandersetzung, die gleichwohl nicht auf ästhetische Reize verzichtet, wie in einer konzentrierten Parforce-Jagd an exemplarisch ausgewählten Arbeiten nach.

Zu den frühen Arbeiten zählen die „Ergänzungen“ von Familienfotos oder Postkarten: Da „ufert“ ein Strandbild buchstäblich aus und wird nach rechts und links einfach weitergemalt. Oder in der Silhouette Moskaus steht plötzlich auch der Kölner Dom vor dem roten Nachthimmel. Hat der Fotograf etwa durch seinen Ausschnitt die „Wirklichkeit“ unterschlagen oder treibt die Erinnerung ihr Spiel mit dem Betrachter?

In der Reihe „Fakes“ eröffnet er den Blick durch Marmor auf grüne Wälder. In seinen „Horizont“-Bildern löst er die Orientierungsfunktion der Trennungslinie zwischen Wasser/Land und dem Himmel auf, er stellt Gleichgewichtsgefühl und Sehgewohnheiten des Betrachters auf die Probe, vertauscht oben und unten, spielt mit den Spiegelungen. In seinen „Fenster“-Bildern täuscht er den Blick durch beschlagenes Glas vor, der dann auf einen Frauenakt oder eine Landschaft fällt. In einer anderen Serie schließlich vergrößert er Ausschnitte aus deutschen und russischen Zeitungen, löst die Buchstabenrelikte damit aus ihrem Zusammenhang und lässt ihren Inhalt in einer „Meta-Sprache“ bestenfalls noch erahnen. JÜRGEN SCHÖN

Galerie Inge Baecker, Zeughausstr. 13, bis 25. Januar, Di-Fr 14-19 h, Sa 12-16 h