WAHL IN GEORGIEN: BEKENNTNIS ZUR KONSOLIDIERUNG DES STAATES
: Balance und Contenance in Tiflis

Es sind Schwindel erregende Ergebnisse: Rund 95 Prozent der georgischen Wähler sprachen bei den Präsidentschaftswahlen dem Kandidaten Michail Saakaschwili ihr Vertrauen aus. Und über 80 Prozent aller Wahlberechtigten gingen an die Urnen. Sollte es da wirklich mit rechten Dingen zugegangen sein? Die Resultate gleichen den alternativlosen Wahlvolksfesten unter den früheren kommunistischen Regimen oder der erzwungenen Stimmabgabe in den autoritären Wahlmonarchien Zentralasiens und im kaukasischen Nachbarland Aserbaidschan, kürzlich.

In Georgien stehen die Dinge anders. Der überwältigende Zuspruch basiert nicht auf Manipulation, vielmehr beruht er auf der Hoffnung, das Land erhalte noch einmal die Chance zu einem Neuanfang, personifiziert in dem 36-jährigen Hoffnungsträger Saakaschwili. Die Perspektiven mögen nicht berauschend sein, aber sie sind auch nicht nur schlecht. Im Unterschied zu anderen postsowjetischen Staaten der GUS hat sich in Georgien eine aktive Bürgergesellschaft entwickelt, die aus ihren Reihen eine neue Elite stellen konnte. Nun muss auf das einheitliche Bekenntnis zur Konsolidierung des Staates – dafür steht die Wahl des neuen Präsidenten – die Institutionalisierung der heterogenen gesellschaftlichen Interessen folgen.

Die Parlamentswahlen im Frühjahr sollen dafür das Fundament legen, auch auf die Gefahr hin, dass der überfällige Reformprozess gleich wieder ins Stocken gerät. Die Führungsfähigkeit der neuen Elite wird sich darin erweisen, ob sie Balance und Contenance zu wahren versteht – also: ob es ihr gelingt, die wirtschaftliche Oberschicht ordnungspolitisch einzubinden. Bisher repräsentierten die Parteien selten soziale Interessengruppen, sondern meist Honoratiorenklüngel. Die Revolution der Rosen hat auch da für einen Bereinigungsprozess gesorgt – die gesamte politische Elite der Neunzigerjahre hat über Nacht ihr Publikum verloren. Diesen Platz, so ist zu hoffen, werden bei den Parlamentswahlen neue Interessenbündnisse einnehmen. Dann erhält Georgien sogar noch eine dritte Chance. KLAUS-HELGE DONATH