übersetzung von seite 17 für deutsch-leser
: Liebe Polen, helft uns!

Ohne polnische Aufbauhilfe wird das Jahr 2004 für Berlin kein Jahr des Aufschwungs, sondern ein weiteres Jahr des Niedergangs

Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger aus Polen. Wir alle freuen uns auf das Jahr, das nun begonnen hat, das Jahr des Beitritts Ihres Landes zur Europäischen Union. Auch für uns Berliner wird dies ein besonderes Jahr sein. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit hat in seiner Neujahrsansprache darauf hingewiesen: „Nutzen Sie die Chancen, die sich aus dem Zusammenwachsen Europas erheben. Besuchen Sie unsere Nachbarländer“, sagte Wowereit zu den Berlinern.

Wir meinen jedoch: Das reicht nicht. Sie wissen sicher, dass Berlin eine arme Stadt ist. Die Arbeitslosigkeit liegt bei fast 18 Prozent. Sie ist damit um ein Vielfaches höher als in Städten wie Warschau, Posen, Breslau oder Stettin. Neben Bremen ist Berlin darüber hinaus die Stadt mit den meisten Sozialhilfeempfängern in Deutschland. Die Kaufkraft ist hier niedriger als anderswo, die Not dagegen umso größer.

Aus eigener Hilfe wird es Berlin nicht mehr schaffen. Wir bitten Sie deshalb: Helfen Sie uns! Kommen Sie in unsere Stadt, investieren Sie in Berlin, schaffen Sie Arbeitsplätze bei uns, besuchen Sie unsere Kaufhäuser, buchen Sie in unseren Reisebüros. Unsere Stadt steht Ihnen offen.

Allein in einem Umkreis von 300 Kilometern um Berlin, so hat es der Senat errechnet, leben neun Millionen polnische Staatsbürger, also Sie, verehrte Damen und Herren. Wenn nur jeder von Ihnen zweimal im Jahr in unsere Stadt käme und dabei 100 Euro ausgäbe, wären das Mehreinnahmen in Höhe von 1,8 Milliarden Euro. Mit dieser Art von „Berlin-Hilfe“ würden Sie dazu beitragen, dass weniger Schulen geschlossen werden müssten, mehr Studenten in der Stadt studieren könnten und Berlin eines Tages vielleicht doch noch zu einer Ost-West-Drehscheibe in Europa werden könnte.

Wir wissen natürlich, verehrte Gäste, dass Sie es bei Ihnen zu Hause auch nicht einfach haben werden. Auch bei Ihnen werden im Zusammenhang mit dem Beitritt zur EU die Preise steigen und viele landwirtschaftliche Betriebe werden dichtmachen müssen. Aber denken Sie an die Milliarden, die Sie aus Brüssel bekommen, Gelder aus dem Europäischen Sozialfonds, die nun nicht mehr Ostdeutschland zugute kommen, sondern Ihnen. Wir bitten Sie inständig. Lassen Sie einen Teil der Gelder in Form von Investitionen und durch Ihre Kaufkraft wieder nach Berlin zurückfließen. Ohne polnische Aufbauhilfe wird das Jahr 2004 für unsere Stadt kein Jahr des Aufschwungs, sondern ein weiteres Jahr des Niedergangs.

„Viele BerlinerInnen beherrschen die Sprache unserer Nachbarn“, sagte der Regierende Bürgermeister in seiner Neujahrsansprache. Wir versprechen Ihnen, dass es bald mehr sein werden und dass Sie sich in unserer Stadt wie zu Hause fühlen können.

Herzlich, Ihre Berlin-Redaktion der taz i. A. UWE RADA