„Auf Zack“ gegen „Gouvernante“

Der Skandal um dioxinverseuchtes Futtermittel hat neue Nahrung: Bundesregierung und Thüringen beschimpfen sich gegenseitig. Neue Erkenntnisse fehlen dagegen, Probeergebnisse sollen heute endgültig die Dimension des Falles klären

von NICK REIMER

Jetzt wird der Dioxinskandal giftig: „Die sind dort einfach nicht auf Zack“, erklärte Verbraucherministerin Renate Künast Richtung Thüringen. Im Skandal um dioxinbelastetes Futter warf sie den freistaatlichen Behörden vor, dass es viel zu lange gedauert habe, bis die Futtermittelproben untersucht und Ergebnisse an ihr Haus gemeldet wurden. Ihr Staatssekretär Matthias Berninger war gar „fassungslos, wie dilettantisch die Thüringer Behörden vorgegangen sind“.

Die Thüringer Replik fiel nicht weniger deftig aus: „Ich erwarte keine Belehrungen in gouvernantenhaftem Ton, sondern Unterstützung bei der Bewältigung dieses Falles“, konterte Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU) Richtung Künast. Und um das Ganze aus der provinziellen Ecke rauszubekommen, gab Vogel seiner Kritik eine europäische Dimension. Künast habe der Europäischen Kommission „einseitige Informationen“ zukommen lassen, eine „gefärbte Darstellung“. Auch die EU hatte nämlich das Krisenmanagement Thüringens kritisiert. „Starke Verwunderung“ habe es in Brüssel darüber gegeben, dass drei Wochen zwischen ersten Erkenntnissen und Benachrichtigung der EU lagen.

Die Futtermittelindustrie wird das freuen: Solange sich die Politik derart streitet, ist sie aus der Schusslinie. Zwar hat die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) gestern stärkere Kontrollen und härtere Strafen für kriminelles Handeln gefordert. „Der Dioxinskandal zeigt, dass das System der betrieblichen Eigenkontrolle nicht funktioniert“, erklärte NGG-Vorsitzender Franz-Josef Möllenberg. Aber das sind natürlich wesentlich weniger starke Worte als die der PolitikerInnen.

Dass der Skandal sich so weit ausgebreitet hat, liegt an der Produktpalette des Trockenwerkes Thüringen in Apolda. „Brotreste, Zwieback und Rüben werden dort getrocknet, die als spezielle Zusatzstoffe dann Futtermittel beigegeben werden“, erklärt Petra Betz, Sprecherin des Thüringer Agrarministeriums. Neben einigen privaten Kunden der Region seien vor allem große Futtermischwerke – auch aus anderen Bundesländern – Abnehmer. Betz: „Die wiederum verarbeiteten das kontaminierte Material weiter, lieferten es an ihre Kunden aus.“ Quasi der Schneeballeffekt der Futtermittelindustrie.

Allerdings fehlten gestern neue Hiobsbotschaften: In Niedersachsen gab es „Entwarnung“ für 11.800 „dioxinverdächtige“ Enten. Staatssekretär Alexander Müller vom Bundesverbraucherministerium erklärte, die Dioxinkonzentrationen in Fleisch aus betroffenen landwirtschaftlichen Betrieben seien sehr gering. Entgültig Klarheit über die Dimension des Skandals verspricht das Thüringer Ministerium für heute. Sprecherin Betz: „Wir erwarten jene Probeergebnisse, die endgültig klären, wie viel Material kontaminiert war.“